Zum Inhalt springen

Garmisch-Partenkirchner Schulden-Schanze

  • von

7.9.2011, aktualisiert 20.10.2011

Der Neubau der Großen Sprungschanze wurde mit 9,97 Millionen Euro kalkuliert worden: Die Sondermittel von Bund und Land betrugen – auf dieser Kalkulation beruhend – je 1,7 Millionen Euro, Markt GaP, Skiclub Partenkirchen (1,5 Millionen) und ein Sponsor sollten 6,57 Millionen Euro beitragen. Der Bau wurde Ende 2007 abgeschlossen (vergleiche hier).
Seit Oktober 2008 kursierte das Gerücht einer erhöhten Bausumme von 17,3 Millionen Euro, die von Bürgermeister Thomas Schmid (CSB) heftig dementiert wurden: „Wir sind weit weg von den Zahlen“ (merkur-online.de 6.9.2011). Jetzt, im August 2011, vier Jahre nach Fertigstellung, wurde endlich vom Rathaus auf Anfrage des Garmisch-Partenkirchner Tagblatts die (vorläufig?) endgültige Bausumme von 17,3 Millionen Euro herausgerückt. Laut CSU-Fraktionsvorsitzender Elisabeth Koch wusste Schmid schon seit Oktober 2008 über die Planungsgesellschaft Drees & Sommer (Sponsor von München 2018!) von der Kostensteigerung auf 17,3 Millionen Euro (merkur-online.de 7.9.2011).
Die Zuschüsse von Bund und Land werden nicht entsprechend der Kostensteigerung von 74,14 Prozent erhöht, sondern bleiben unverändert bei jeweils 1,7 Millionen Euro. Auch der Zuschuss des Skiclubs Partenkirchen bleibt bei 1,5 Millionen Euro. Damit muss die Gemeinde Garmisch-Partenkirchen die gesamte Kostensteigerung allein tragen.
Für wenige Tage Skispringen im Jahr und einem halben Tag in den Sportmedien wird eine Gesamtbelastung von 12,34 Millionen Euro fällig: „Eine Zahl, die einen Schlag ins Gesicht des Bürgermeisters bedeutet“ (Ebenda).
Der Rathaus-Sprecher Florian Nöbauer bezeichnete die Kostenexplosion als „bedauerliche Erhöhung, die es in Zukunft nicht mehr geben darf“. Er beschönigte gleichzeitig die Entwicklung: „Die restliche Summe haben wir aus dem Haushalt erwirtschaftet“ (Ebenda).
„Aus dem Haushalt erwirtschaftet“: So kann man das Anwachsen der Garmisch-Partenkirchner Verschuldung auch nennen, die schon 2009 rund 110 Millionen Euro betrug.

Die CSB-Gemeinderatsfraktion schob die Schuldfrage umgehend auf die Rathaus-Verwaltung und das Bauamt. CSB-Fraktionsvorsitzender Peter Samstag: „Das Bauamt war überfordert“ mit der viel zu großen Aufgabe  (merkur-online.de 7.9.2011).
Wer hat die Schanze gewollt, von wem hat das Bauamt denn den Schanzenauftrag erhalten?
Ein Bauamtsmitarbeiter berichtete im Oktober 2008, dass einige Arbeiten ohne Genehmigung durchgeführt wurden, weil sonst das Neujahrsspringen 2008 gefährdet gewesen sei. FDP-Gemeinderat Ecko Eichler vermutete als wahren Grund für die beschleunigten Arbeiten die Kommunalwahlen im März 2008.
Symptomatisch für die „Verantwortlichen“ im Garmisch-Partenkirchner Rathaus: Niemand von ihnen übernimmt wirklich Verantwortung. Nur die anderen sind verantwortlich. Und die Garmisch-Partenkirchner Bürger haben durch die exzessiven Investitionen in den Winter-Spitzensport noch mehr Schulden.

Die Innsbrucker Bergisel-Schanze, von der Stararchitektin Zaha Hadid geplant und 2002 in Betrieb gegangen, kostete damals übrigens weniger: laut Auskunft der Betreibergesellschaft 15,4 Millionen Euro – inclusive einem Panorama-Restaurant mit 120 Plätzen, siehe hier.

Dazu kommt für Garmisch-Partenkirchen die finanzielle Belastung durch Windnetze, deren Notwendigkeit sich beim Neujahrsspringen 2011 herausgestellt hat: Die Platzierungen der Skispringer waren stark von den Winden abhängig und am Rand der Wertbarkeit. Der Internationale Skiverband FIS nahm Mitte Juni 2011 das Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen am 1.1.2012 nur deshalb offiziell in sein Programm auf, weil der Skiclub Partenkirchen die Installation temporärer – und teurer – Windnetze zugesagt hat. Der Dritte Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler und Pressesprecher des Skiclub Partenkirchen, Hannes Krätz, verwies darauf, dass die zu installierenden Netze durch den Athletenbereich und das Containerdorf führen werden (merkur-online.de 14.6.2011).
Damit wird das Neujahrsspringen noch wesentlich teurer. Hinzu kommen noch Kosten in unbekannter Höhe für die Sanierung des nicht funktionierenden Schanzenliftes: Beim Neujahrsspringen 2011 mussten die Skispringer zu Fuß über die Treppe hoch (merkur-online.de 26.8.2011).

Die Marktgemeinde muss zusätzlich auch noch die Unterhaltskosten für das renovierungsbedürftige und wenig ausgenutzte Skistadion tragen (Vgl.: Pritzl 23.7.2011). Das Skistadion von 1936 ist marode und teilweise gesperrt. Das vom IOC so hoch gelobte „Olympische Erbe“ ist langfristig unbezahlbar, in Garmisch-Partenkirchen, in München und an allen anderen Olympischen Stätten.

Bürgermeister Thomas Schmid, ein extremer Befürworter der Bewerbung München 2018, hat zusammen mit deren Befürwortern im Gemeinderat der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen auch noch andere Zahlungen verursacht: Das Darlehen von Garmisch-Partenkirchen an die Bewerbungsgesellschaft München 2018 aus dem Jahr 2009 in Höhe von 0,45 Millionen Euro ist längst verloren. Und da die
Bewerbungsgesellschaft München 2018 ihren Etat von 33 Millionen Euro nicht über Sponsoren decken konnte, müssen 4,1 Millionen Euro Unterdeckung auf die Gesellschafter verteilt werden: Davon entfallen
auf Garmisch-Partenkirchen anteilig 669.000 Euro  (Effern, Riedel 14.7.2011). Dazu kommen noch
die vielfältigen, meist nicht erfassten Kosten für die Marktgemeinde bezüglich Arbeitsaufwand, Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten, materiellen und ideellen Sachwerten usw.

Schmid sagte vor der krachenden Niederlage bei der IOC-Vergabe in Durban am 6.7.011: „Vor allem kostet eine zweite Bewerbung nicht mehr dieses Geld, weil vieles schon geschaffen wurde. Vor diesem Hintergrund hätte ich kein Problem vorzuschlagen, in eine Bewerbung für 2022 zu starten” (Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 6.7.2011).
Logisch war, dass das finanzielle Desaster des Sprungschanzen-Baus erst zwei Monate nach der Entscheidung des IOC in Durban ans Licht kam – obwohl es längst vorher bekannt war.
Denn der Abschlussbericht des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbandes (BKPV), der den Zeitdruck alls eine der Ursachen für die Kostenexplosion nennt und der von den Verantwortlichen selbst so gesetzt wurde, lag seit Anfang Juni 2011 dem Bürgermeister und seinen Stellvertretern vor: Die CSB- und Freie-Wähler-Mehrheit des Gemeinderates verhindert seither die Aushändigung des Berichtes an alle Gemeinderatsvertreter (merkur-online.de 18.9.2011). Fest steht, dass der Gemeinderat im November 2006 beschloss, eine vierköpfige Entscheidungsgruppe zu installieren, der neben dem Ersten Bürgermeister Thomas Schmid ein Vertreter des Bauamtes, des Skiclubs Partenkirchen und von GaPa-Tourismus angehörte. Auch die Namen dieser Personen teilt das Rathaus nicht mit (Ebenda).
Gelebte Garmisch-Partenkirchner Rathaus-Demokratie…

Am 10.10.2011 diskutierte der Garmisch-Partenkirchner Bauausschuss in nichtöffentlicher Sitzung über die Kostensteigerung von 89 Prozent, welche der Bayerische Kommunale Prüfungsverband (BKPV) festgestellt hatte, da auch noch die geplante Hangtribüne und die Flutlichtanlage entfallen waren. Die Mehrkosten mussten von der Gemeinde komplett getragen werden, da sich die öffentlichen Zuschüsse auf die ursprüngliche Bausumme von 9,9 Millionen Euro bezogen und nicht auf die (vorläufig) endgültige von 17,24 Millionen Euro. CSU und SPD drängten auf eine öffentliche Aussprache im Rat; der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Hannes Krätz, erklärte die öffentliche Diskussion aus Gründe der Vertragsgestaltung für unzulässig (Holzapfel 5.10.2011).

Der Kommunale Prüfungsverband warf in seinem Bericht Bürgermeister Schmid und seiner Verwaltung unnötigen Zeitdruck, ungeschickte Auftragsvergabe, verspätete Planung, Intransparenz gegenüber dem Gemeinderat und lückenhafte Dokumentation des Bauprojektes vor. In nur einem Jahr wurde Abriss, Planung und Neubau durchgezogen. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Siegrid Meierhofer bemerkte dazu: „Im März 2008 waren Kommunalwahlen. Die Schanze sollte ein Argument für die Wiederwahl des Bürgermeisters sein“ (Effern 6.10.2011; Hoffmann 8.10.2011).

Am 19.10.2011 erteilte die Gemeinderatsmehrheit von CSB und freien Wählern erwartungsgemäß mit 16 zu 14 Stimmen Bürgermeister Schmid einen umfassenden Freibrief: „kein Fehlverhalten oder Pflichtverletzungen“, „keine Einleitung dienst-, arbeits- oder disziplinarrechtlicher Maßnahmen sowie oder haftungsrechtlicher Schritte oder Regressforderungen“. Kommentar des Bürgermeisters Schmid: „Der Wähler hat gewusst, dass es teurer wird“ (merkur-online 20.10.2011).
Das Ergebnis: Niemand trägt Schuld, niemand trägt Verantwortung – ein typisch deutsches Phänomen.

Sendung im ZDF am 07.10.11: ZDF, Drehscheibe Deutschland: Ärger in Garmisch-Partenkirchen — Kosten für Sprungschanze auf Höhenflug (ab 04:32 min)
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/content/1459698

Quellen:
Bau der Olympia-Schanze: Freispruch für das Rathaus, in merkur-online 20.10.2011
Effern, Heiner, Den Absprung verpasst, in sueddeutsche.de 6.10.2011;
Effern, Heiner, Riedel, Katja, Offene Rechnungen – und ein Sponsor für Kati Witt, in sueddeutsche.de 14.7.2011
Grünes Licht für Neujahrsspringen, in merkur-online.de 14.6.2011
Gut angelegtes Geld, in Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 6.7.2011
Jungfernsprung auf der Olympiaschanze, in sueddeutsche.de 21.12.2007
Hoffmann, Nadja, Verband: Kostenexplosion von 89 Prozent, in Garmisch-Partenkirchner Tagblatt 8.10.2011
Holzapfel, Matthias, Kostensteigerung beim Bau der Olympia-Sprungschanze: Ruf nach öffentlicher Debatte wird lauter, in merkur-online 5.10.2011
Lösung für Schanzen-Lift in Sicht – Prototyp für neue Tür in der Testphase, in merkur-online.de 26.8.2011
Pritzl, Tassilo, Olympia-Stadion: Eine etwas marode Goldgrube, in merkur-online.de 23.7.2011
Sebald, Christian, Skisprungschanze wird gesprengt, in sueddeutsch.de 13.4.2007
Skisprung-Schanze: Wer hat Schuld an der massiven Preissteigerung? in merkur-online.de 7.9.2011
Skisprung-Schanze: Zeitdruck alls Hauptproblem füür Kostenexplosion? in merkur-online.de 18.9.2011
Sprungschanze soll jetzt 17,24 Millionen Euro kosten, in merkur-online.de 6.9.2011
Wikipedia
www.bergisel.info.de
www.olympiaschanze.garmisch-partenkirchen.de