Zum Inhalt springen

Schneller, höher, stärker: Frühinvalide

  • von

Vorbemerkung:
Mit diesem Beitrag möchte ich vorläufig die Arbeit an der Webseite abschließen, an der ich gemeinsam mit dem Netzwerk NOlympia sieben Jahre gearbeitet habe. Aktualisierungen erfolgen bei Bedarf.
Der weitere Weg scheint klar: Der globale Sportkonzern IOC mit dem Oligarchen Thomas Bach an der Spitze hat den Weltsport offensichtlich fest im Griff. Die Förderung undemokratischer Prozesse im Sport („Sportdemokratur“) wird sich noch verstärken, die Tendenz zur Vergabe von Sportereignissen an autoritäre Regime wird weiter anhalten. Damit verschärfen sich auch die Dopingprobleme. Falls dies so weitergeht, werden auch Korruption und Schiebungen im Milliarden-Business Sport weiter zunehmen.
Es gäbe zu NOlympia auch durchaus noch weitere Themen zu bearbeiten: zum Beispiel die Tendenzen, mit der bereits Kinder- und Jugendliche kritiklos dem Hochleistungs- und Spitzensport zugeführt und geopfert werden. (Vgl. hierzu den Arte-TV-Film: Die Kehrseite der Medaille)
Wir würden uns freuen, falls externe Kenner und Kritiker des Spitzensports uns aktuelle und fundierte Beiträge zur Verfügung stellen.

————–

Schneller, höher, stärker: Frühinvalide

Gliederung:
Zur Absicht
1. Teil: Sport gegen Gesundheit
1.1. Das Olympische Motto * 1.2. Spitzensport und Gesundheit * 1.3. Illusionen und Sportideologien * 1.4. Sommersport: Leichtathletik – Radfahren – Fußball – Tennis – Handball – Basketball – Turnen – Gewichtheben – Klettern – Radsport – BMX – Mountainbike * 1.5. Wintersport : Skirennen – Zitate aus der Ski-Welt – Skispringen – Snowboard – Bob – Eislaufen – Biathlon – Eishockey – Golf * 1.6. Noch extremerer Sport: Die X-Games – Die Winter-X-Games – American Football – Boxen – Wrestling – Mixed-Martial-Arts – Motorsport
2. Teil: Schlechte Perspektiven
2.1. Zitate zum Sport * 2.2. Gehirnschäden * 2.3. Nach der Karriere
3. Teil: Die Kosten von Brot & Spiele
3.1. Zur Position der Berufsgenossenschaft * 3.2 Krankenversicherung * 3.3. Invaliditätsversicherung * 3.4. Doping
Fazit
Quellen

Zur Absicht
In diesem Beitrag geht es nicht darum, Spitzensportler zu diskriminieren. Sie werden – durch den Verwertungsdruck und aufgrund der Millionengeschäfte im Sport – seit Jahrzehnten gnadenlos ausgebeutet und gesundheitlich ruiniert. Viele sind am Ende ihrer kurzen Sportkarriere gesundheitlich schwer geschädigt, berufsunfähig oder Frühinvaliden. Die Allgemeinheit muss oftmals sowohl für die Kosten der Sportunfälle und der bleibenden Schäden als auch für deren Spätfolgen aufkommen. Auf die psychischen Folgen und Schädigungen kann hier nicht eingegangen werden: Sie wären ein eigenes Thema wert.

Die von mir seit Jahren gesammelten Meldungen stellen keine wissenschaftliche Untersuchung oder gar eine sportmedizinische Abhandlung dar. Diese Aufzählung soll an Einzelbeispielen über Karrieren in den verschiedenen Spitzen- und Hochleistungssportarten – und über das Leben nach der Sportlerkarriere- aufklären.
Besonders verhängnisvoll ist die Vorbildfunktion der in den Medien gefeierten Sportheroen für die nachfolgenden Jungsportler: Sie sind die nächsten Sport-Frühinvaliden.

Ich habe oft nur wenige Beispiele, manchmal auch nur einen besonderen Fall aufgenommen: Die Fallbeispiele erheben keinen Anspruch auf Vollständigkei

1. Teil: Sport gegen Gesundheit

1.1. Das Olympische Motto
„Citius, altius, fortius“ – „Schneller, höher, stärker“ wurde 1894 von Pierre de Coubertin als olympisches Motto vorgeschlagen, 1924 erstmals zitiert und 1949 in die IOC-Satzung aufgenommen. Es ist am Anfang des 21. Jahrhunderts – angesichts der sich auf vielen Gebieten andeutenden Katastrophen ein beispielhaft einfältiges Motto, das vom IOC noch  immer als Leitmotiv verwendet wird.
Unter dem Titel „Citius, altius, mortuus“ stellte der Theologe und Jesuit Alois Koch bereits 1988 bei einer Tagung zum Hochleistungssport fest: „Die fast einhellige Meinung war diese: Was muss bei  der Produktion von  sportlichen Höchstleistungen an Geld investiert werden von Vereinen, Verbänden, von Bund und Ländern? Wie wird die Höchstleistung honoriert? Was wird dabei verdient?“ (Koch 1988). Nach Henning Eichberg ist der Hochleistungssport der „Kultus der Industriereligion“ (Ebenda).

1.2. Spitzensport und Gesundheit
Bereits 1987 war im Spiegel zu lesen: „Genaugenommen sind Hochleistungssportler eine Division von Sportkrüppeln und Frühinvaliden. Für den Applaus und den Platz auf dem Siegertreppchen nebst seinen geldwerten Folgen müssen sie bitter bezahlen – die einen früher, der andere später“ (Spiegel 37/7.9.1987).
Der österreichische Sportmediziner Ludwig Prokop hat in einem Interview darauf hingewiesen, „dass bei etwa 80 % der untersuchten österreichischen Hochleistungssportler irreversible Dauerschädigungen festgestellt wurden, ohne dass bereits Beschwerden oder schmerzhafte Wahrnehmungen bestanden“ (Koch 1988).
Eine der größten Lügen im Sport ist wohl die Behauptung: „In einem gesunden Körper steckt immer ein gesunder Geist.“ Auf die Frage, was er von diesem Satz halte, antwortete der Psychiater Frank Schneider vom Universitätsklinikum Aachen, der im Jahr 20 bis 30 Profisportler behandelt, im Spiegel-Interview: „Nichts, wenn es um Leistungssportler geht“ (Gilbert, Großekathöfer 1.8.2011). Die Athleten, die zu ihm kommen, „sind depressiv oder zwangskrank, haben Tics, leiden unter Angstzuständen, haben Essstörungen. Oder sie sind abhängig von Alkohol, von Medikamenten. (…) Wir hatten vor einigen Wochen eine Top-Schwimmerin hier, schwer depressiv. (…) Sie kam nicht damit klar, nicht die Beste zu sein“ (Ebenda). Dazu kommen Burnout, Depressionen, Angstzustände, Suizidgefährdung. Dazu wiederum der Theologe Alois Koch 1995: „Der Leistungssport hat den Rubikon in Richtung ’Inhumanität’ schon überschritten. (…) Der Leistungssport ist in der Gefahr, zu einer Ideologie zu werden, ja einen quasi-religiösen Charakter anzunehmen und ‚Heil’ zu versprechen. Ein Symptom dafür ist die weitgehend übliche ‚Gleichung’ von Sport und Gesundheit“ (Koch 1995).
Der Mannschaftsarzt des deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Helmut Schreiber, äußerte 2011: „Hochleistungssport ist kein Gesundheitssport. Nicht nur in der Leichtathletik“ (Hahn 1.9.2011). Oft sei es nötig, den Schmerz auszuschalten – mit Auswirkungen: „Diclofenac hat zum Beispiel Auswirkungen auf die Leber, auf die Niere, vor allem auf den Magen-Darm-Trakt“ (Ebenda). Und oft starten die Athleten trotz Verletzungen. „Aber derartige Entscheidungen sind nicht nur von medizinischen Erwägungen abhängig, sondern sicher auch von anderen, beispielsweise von finanziellen“ (Ebenda).
Symptomatisch ist auch die Geschichte der russischen Eiskunstläuferin Julia Lipnitskaja: „2014 erreichte Julia Lipnitskajas Karriere ihren Höhepunkt. Im zarten Alter von vier Jahren hatte sie erstmals Kufen unter den Füßen getragen, als Elfjährige war sie zur professionellen Ausbildung nach Moskau gezogen. Mit 15 war sie bereits die beste Eiskunstläuferin Russlands – pünktlich zu den olympischen Winterspielen in Sotschi. (…) Seither jedoch fügten sich immer dunklere Kapitel in die Karriere der Eiskunstläuferin, die am Montag vorläufig endete. Mit gerade einmal 19 Jahren gab die Entdeckung von Sotschi ihren Rücktritt bekannt. Der Grund: Magersucht. Schon Ende 2014 klagte Lipnitskaja über ‚konstanten Stress‘ und darüber, wie schwer es sei, ihre eigenen Erwartungen und die ihrer zahlreichen Fans zu erfüllen. (…) Lipnitskaja hungerte sich in Gewichtsregionen herunter, die ihre Gesundheit gefährdeten. Sie wurde magersüchtig. Vor drei Monaten begab sie sich schließlich in professionelle Behandlung. Über ihren aktuellen Zustand ist bislang nichts bekannt, fest steht aber: An Sport ist derzeit nicht zu denken“ (spiegelonline 29.8.2017).

1.3. Illusionen und Sport-Ideologien
Die Sportler sehen sich oft als Vorbild für den „gesunden Sport“. Und sie sind oft selbst bereit, freiwillig jede Risikoschwelle zu überschreiten – aus einem Gefühl der vermeintlichen Unverletzlichkeit. Hierzu drei Zitate von beliebig vielen:
Silke Spiegelburg, Stabhochspringerin: „“Wenn wir durch die Übertragungen die  Leute dazu bringen, dass sie Interesse am Sport haben, haben wir dadurch schon gewonnen. Das ist das, was wir als Sportler zu einer gesünderen Gesellschaft beitragen“ (Hahn 27.8.2011).
Seth Wescott, Snowboard-Olympiasieger: „Wenn man für den Moment lebt, ist es egal, was morgen passiert. Mit dieser Lebenseinstellung kommt man sehr weit – denn vielleicht gibt es ja gar kein Morgen mehr“ (Arnu 31.10.2011).
BMX-Fahrer Chad Kagy: „Wer Angst hat, darf nicht starten“ (Tögel 1.7.2013).

Es folgt eine kleine und bei Weitem unvollständige Auswahl von Sportlern und ihren Verletzungen. Der aktuelle Gesundheitszustand bzw. die Pflegebedürftigkeit der ehemaligen Sportler ist vielfach unbekannt, ähnlich die Quote der Berufsunfähigen.

1.4. Sommersport

Leichtathletik
Liu Xiang
(*1983), CHN. Hürdensportler, Achillessehnenverletzung, Rücktritt 2015. Zitat, an die Hürden gerichtet: „Ich bin wirklich alt und krank, ich kann euch nicht mehr nehmen“ (Hahn 8.4.2015).
Michael Schrader (*1987), DEU,  Zehnkämpfer, Sportsoldat. 2008 Stressfrakturen, Ermüdungsbruch im Kahnbein. Unfall am 22.1.2016: Durchriss der Patellasehne, Kreuzbandriss, Außen- und Innenbandriss am Knie, zerstörter Meniskus.
Kira Grünberg (*1993), AUT, Stabhochsprung. 15.7.2015 Riss des rechten Außenbandes; beim Sprung am 30.7.2015 landete Grünberg vor der Matte – Bruch des 5. Wirbels der Halswirbelsäule; querschnittsgelähmt.

Radfahren
Ohne Doping geht nichts – von  Lance Armstrong bis zu den heutigen Rennställen. Vgl. Links unter www.nolympia.de zu Armstrong und McQuaid, UCI, Verbruggen: hier)

Fußball
„Nicht der Ball ist das Sportgerät des Fußballers, sondern sein Körper. Den kann zusätzlich zu den Risiken eines normalen Arbeitnehmers jederzeit eine Sportverletzung treffen, die das Ende der Karriere bedeutet – vorübergehend oder endgültig. Anders als die meisten Berufstätigen kann ein Fußballprofi den Job durchschnittlich nur 12,5 Jahre ausüben. Dann ist die sportliche Karriere zu Ende – spätestens. Denn von Verletzungen bleibt kaum ein Leistungssportler verschont. Kommen zum Trümmerbruch eines Gelenkes oder gerissenen Bändern noch Komplikationen wie Infektionen dazu, dann wird aus einem Karriereknick schnell das Karriereende. Das ist der Super-Gau, der größte anzunehmende Unfall für einen verwöhnten Fußballprofi. Diesen Fall soll eine Sportinvaliditätsversicherung abdecken, bei der es keine Berufsunfähigkeitsgrade gibt wie bei normalen Versicherungen für Berufstätige. Der Fußballer kickt oder er kickt nicht“ (Kuntz 18.8.2012; Hervorhebung WZ).

Zur Assekuranz im Fußball: „Rund 3000 Euro Prämie im Monat zahlen die Spitzenverdiener der Bundesliga für den Schutz vor Invalidität. Nach Angaben des Versicherungsmaklers Aon erleidet jeder Profifußballer pro Saison statistisch 2,5 Verletzungen, eine davon ist so schwerwiegend, dass er danach für längere Zeit ausfällt. ‚37 Prozent aller Verletzungen betreffen allein das Knie‘, sagt Stefan Gericke, Sportexperte bei dem Makler, der rund 100 Profifußballer der ersten und zweiten Bundesliga in Versicherungsfragen betreut. Knieverletzungen sind auch einer der Hauptgründe, weswegen Fußballer ihre Karriere aufgeben müssen. (…) Wie bei jedem anderen Arbeitnehmer auch zahlt der Arbeitgeber, also der Club, das Spielergehalt nur bis zum 42. Tag weiter. Danach springt die Berufsgenossenschaft ein, falls sich der Fußballer im Spiel, beim Training oder auf dem Weg dorthin verletzt hat. Die monatliche Leistung beträgt maximal 4900 Euro für maximal 72 Wochen. Ist der Spieler in seiner Freizeit verunglückt, gibt es nur das gesetzliche Krankengeld in Höhe von maximal 2100 Euro, ebenfalls für höchstens 72 Wochen, sofern der Fußballer gesetzlich krankenversichert ist“ (Krieger 7.8.2013).

Zur Invaliditätsversicherung: „Gegen das Risiko, wegen eines Unfalls oder einer Erkrankung nie wieder spielen zu können, sichern sich viele Fußballer meist mit einer sogenannten Sportinvaliditätsversicherung ab. Denn auch hier ist die gesetzliche Absicherung mager: Die Berufsgenossenschaft zahlt maximal 4667 Euro brutto im Monat bei 100 Prozent Invalidität“ (Ebenda).

Claudio Catuogno in der SZ zum körperlichen Verschleiß bei Fußballern: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass nicht die singuläre Verletzung das Problem ist. Sondern der allgemeine Verschleiß. Die Profi-Karriere beginnt heute oft schon in der B-Jugend, ab der A-Jugend gibt es dann die Junioren-Champions-League. Zugleich wird das Spiel immer intensiver: mehr Laufkilometer, mehr Sprints, mehr Zweikämpfe. Mit der Intensität steigt wiederum nicht nur die allgemeine Ermüdungs-, sondern auch die konkrete Verletzungs- Gefahr. Der moderne Vollgasfußball frisst seine Kinder, noch ehe sie 30 sind“ (Catuogno 18.11.2013).

Dazu kommt die Datenerfassung im Profifußball der Bundesliga: „Keiner der 396 Spieler kann mehr einen Schritt machen, ohne dass die Software jede seiner Bewegungen festhält, analysiert, aufbereitet, vergleicht“ (Schnibben 1.8.2011).
Zu Fußball-Frühinvaliden und -Langzeitverletzten gibt es ungezählte Beispiele die über Jahrzehnte bekannt wurden. Hier vier ganz „normale“ Fälle:
Daniel Bierofka (*1979), DEU, 1. und 2. Bundesliga. Bandscheibenvorfall, Knöchelbruch, Über 20 Operationen; Rücktritt 2014.
Hope Solo (*1981), USA, Nationaltorhüterin. 2010 Schultergelenk-OP mit zehn Schrauben.
Lena Lotzen (*1993), DEU, September 2013 Bruch des Mittelfußes, November 2013 erneuter Bruch an derselben Stelle; August 2014 Kreuz- und Innenbandriss im linken Knie; März 2017 Kreuz- und Innenbandriss im linken Knie (Dreher 29.6.2017).
Christian Cappek (*1990), DEU, Schlüsselbeinbruch, seit Februar 2016 drei Knieoperationen, gerissene Patellasehne mit 14 Monate Pause, Rücktritt März 2017, Sportinvalide (Kirchmeier 19.7.2017).

Und natürlich gibt es – von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert – gerade im modernen Fußball das Problem des Dopens. Dazu Thomas Kistner in der SZ: „In Zeiten, in denen Geheimdienste beim Dopen helfen und verfeinerte Nachtests die Umverteilung von Olympiamedaillen zur Tagesroutine machen, müssen selbst passionierte Träumer erkennen: Sport steckt in der Systemfalle. Wie wird man heute immer stärker, schneller, zäher – ohne all die hocheffektiven Mittel? Das Traumgespinst vom sauberen Sport ist geplatzt. Aber: Eine Episode aus der Märchensammlung trotzt weiterhin jeder Aufklärung – die vom dopingfreien Profifußball. Es ist müßig, die unzähligen Belege anzuführen, vom Schmerzmittelmissbrauch über all die Enthüllungen, die oft späten Geständnissen früherer Stars entstammen, bis hin zu den auffallend wenigen Blut- und Hormonstudien, die es zum weltgrößten Sportbusiness gibt. Jüngst zeigte eine wissenschaftlich gesicherte Studie eine Dopingmentalität unter Fußballprofis hierzulande von zehn bis 35 Prozent. Na und? (…)  Der reiche Fußball ist abgesichert; er wird immer energetischer. Siegerteams brauchen heute neben der Klasse größte Dynamik. Wie so eine Entwicklung funktionieren kann? Egal, einfach an das Gute glauben“ (Kistner 5.4.2017).
Dazu kommt die verhängnisvolle Vorbildfunktion des Spitzensports für Kinder und Jugendliche. „Rund 15 000 Kinder spielen Fußball an DFB-Stützpunkten, außerdem gibt es 11 500 Eliteschüler des Sports in Deutschland. Sie alle träumen von einer großen Sportlerkarriere. (…) Die Interessen und das Wohl der Kinder bleiben dabei oft auf der Strecke. Und die meisten der Kinderträume von der großen Sportkarriere ebenfalls. Denn nur die wenigsten der vielen Tausend, die es versuchen, kommen schließlich auch ganz oben an“ (Schültke 11.5.2015).

Tennis
Das Beispiele für viele: Boris Becker (*1967), DEU. U. a. Syndesmosenbandriss, OP an beiden Hüftgelenken, 10 cm lange Platte im Sprunggelenk mit sechs Schrauben gehalten, kann nach sieben Operationen kaum noch Sport ausüben. Becker: „Ich kann leider aufgrund von schweren Verletzungen nicht mehr viel Sport machen. Ich habe eine neue Hüfte, habe eine zehn Zentimeter lange Eisenplatte im Sprunggelenk. Ich kann nicht mehr joggen. Ich kann nur noch zu Charity-Zwecken etwas Tennis spielen“  (Trentmann 7.10.2013).

Handball
Das Beispiel Iker Romero
(*1980), ESP. Zitat: „Allein im rechten Knie hatte ich fünf Operationen (…) Ich habe eine chronische Arthrose. Und nach Spielen hab ich oft das Gefühl, dass das Knie platzt. (…) Frakturen in beiden Knöcheln, eine chronische Sehnenscheidenentzündung im linken Knie, einen Riss der Supra-ich-weiß-nicht-was-Sehne im Ellbogen, einen rechten Schulterbruch, bei dem zwei von drei Sehnen gerissen sind. Der einzige Finger, der mir nicht brach, ist dieser hier (er zeigt den rechten Zeigefinger). Der ist mir völlig rausgeflogen. Zwei Nasenbeinbrüche, sechs Stiche, als mein rechtes Auge genäht werden musste, oder links? Das weiß ich jetzt nicht mehr“ (Cáceres 15.5.2015).

Basketball
Moritz Wohlers
(* 1984), DEU. 2 Knieoperationen, Spritzenkuren, Meniskuseinriss, Knorpelschaden (Schmid 6.3.2014). „Die Ärzte haben mir empfohlen, lieber mit dem Sport aufzuhören, damit ich auch mit 40 Jahren noch normal gehen kann“ (Ebenda).

Johannes Herber (*1983), DEU, Basketball-Nationalspieler. 2 Kreuzbandrisse seit 2007, Rückenprobleme, Entzündung von Schleimbeutel und Knochenhaut der Ferse, Rücktritt 2012. Herber,: „Ich hab noch genau im Kopf, was ich für Schmerzen hatte. Wie es mich mitgenommen hat… „Je stärker ich litt, desto besser glaubte ich, trainiert zu haben. Schmerzen zu tolerieren gehörte dazu und war sogar zwingend notwendig, um Grenzen auszuloten und sie weiter hinauszuschieben… Am Tag nach meinem ersten Kreuzbandriss trainierte ich… Mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Es war, als ob er sagte: Jetzt bestimme ich! Plötzlich kämpften wir gegen- statt miteinander… Ich habe es satt, verletzt zu sein. Ich habe es satt, mit Schmerzen zu spielen“  (Dach, Spannagel, 6.4.2014).

Turnen
Kreuzbandrisse 2014 bei: Janine Berger, Nadine Jarosch, Marcel Nguyen
Kim Janas (*2000), DEU. Drei Kreuzbandrisse mit 16 Jahren; Karriereende 2016.
Fabian Hambüchen (*1987), DEU. Olympiasieger 2016. 2009 Bänderriss linkes Sprunggelenk, 2011 Riss Achillessehne, 2016 abgerissene Achillessehne. Hambüchen zum seit 2006 geltenden Bewertungssystem: „Es gibt kein Limit nach oben, viele meinen, immer volles Risiko gehen zu müssen“ (Spiegel 22.9.2014).
„Dass der Turn-Sport mit seinen immer weiteren Drehungen,  immer höheren Flugkurven und verdichteten Übungen riskanter wird, liegt auf der Hand“ (Kreisl 20.9.2014).

Gewichtheben
Gerd Bonk
(*1951, †2014), DDR. Doping-Opfer der DDR, bis zu 11,5 Gramm Oral-Turinabol jährlich, Diabetiker, Nierenversagen, Dialysepatient. Bonk 2014: „Verheizt von der DDR, vergessen vom vereinten Deutschland“ (Herrmann 15.6.2013).
Matthias Steiner (*1982), DEU. Olympische Sommerspiele London 2012:, 2. Versuch im Reißen mit 196 Kilogramm: Bandverletzung an der Halswirbelsäule, Prellung des Brustbeins, Muskelzerrung Brustwirbelsäule, Rücktritt 2013.Milen Dobrew
(*1980), BGR. Olympiasieger 2004, starb mit 35 Jahren im März 2015, Todesursache unbekannt.
Im April 2015 wurde bekannt, dass  elf bulgarische  Gewichtheber positiv auf  Doping getestet wurden. 2008 musste Bulgarien wegen positiver Dopingtests sein komplettes Team für Peking zurückziehen. (Siehe auch 3.4.)

Klettern
Stefan Glowacz
(*1965), DEU. Komplizierter Fersentrümmerbruch, Kahnbeinbruch, Meniskusschäden.
Didier Berthod (*1981), CHE. Probleme in beiden Knien, Bandoperation.
Thomas Huber (*1966), DEU. 2016 Sturz aus 16 Meter Höhe – Schädelfraktur, Wirbelsäulenverletzung.
Alexander Huber (*1968), DEU. 2005 Sturz aus 17 Meter Höhe – schwere Verletzungen an den Sprunggelenken. Alexander Huber: „An der Grenze zum Tod musst du umkehren. Wir Bergsteiger können unsere Leistung aber nur dann präsentieren, wenn wir erfolgreich waren. Deshalb existiert dieses schiefe öffentliche Bild“ (Wolfsgruber 14.10.2013).
Ueli Steck (*1977, † 2017): „Einer der bekanntesten Bergsteiger der Welt ist tot: Der Schweizer Ueli Steck verunglückte bei einer Expedition am Mount Everest. Rettungskräfte fanden die Leiche des 40-Jährigen in der Nähe des 7000 Meter hohen Nuptse-Berges. (…) Steck war immer auf der Suche nach neuen Extremen. In Nepal wollte er erneut einen Weltrekordversuch wagen: Eine Besteigung des Mount Everest, mit 8848 Metern der höchste Berg der Welt, und des daneben gelegenen Lhotse (8616 Meter) – innerhalb von 48 Stunden, ohne künstlichen Sauerstoff. (…) Die Besteigung binnen 48 Stunden hätte einen weiteren Weltrekord bedeutet“ (spiegelonline 30.4.2017). Aus einem Nachruf von Natascha Knecht: „Ueli Steck ist tot. Abgestürzt. 1000 Meter tief gefallen. Bei einer Akklimatisationstour am Nuptste (7861 m). Er war 40-jährig, verheiratet, keine Kinder. (…) Die Vorbereitung für seine Rekordtour tüftelt er mit Experten des Nationalen Sportzentrums Magglingen aus. Dazu gehört auch ein Ernährungsplan und mentales Coaching. Im Alpinismus war dies eine völlig neue Entwicklung. Doch Steck definiert sich schon lange nicht mehr als klassischer Bergsteiger, sondern als Spitzensportler. Sein Motiv war nicht das Erlebnis in der Natur, die Gemächlichkeit am Berg, die Entschleunigung – was den Alpinismus seit 150 Jahren ausmacht. Er hat den ‚athletischen Alpinismus‘ erfunden. Oder wie es Bergsteiger-Legende Reinhold Messner einmal ausdrückte: den ‚Zahlenalpinismus‘, bei dem es weniger um das Geheimnisvolle und Unbekannte im Gebirge geht als um Höhenmeter, Distanzen und schnelle Zeiten, die mit der Stoppuhr gemessen werden. Jetzt hat es Ueli Steck aus der Wand ‚gespickt'“ (Knecht, Natascha, „Gescheitert bin ich, wenn ich nicht mehr nach Hause komme“, in spiegelonline 1.5.2017).

Radsport
Werner Bartens über die Tour de France 2017 in der SZ: „Braucht man viel Mut oder wenig Hirn? Auch ohne Regen ist es waghalsig, sich auf zweieinhalb Zentimeter dünnen Reifen mit 110 Kilometer pro Stunde von einem Alpenpass ins Tal zu stürzen. Sind die Straßen nass, wie am Sonntag während der Tour de France, wird es lebensgefährlich. Trotzdem erreichten die Fahrer auf glitschiger Fahrbahn 90 Kilometer pro Stunde. Nicht alle kamen an. Wirbelbruch, Beckenbruch, Schlüsselbeinbruch lauteten die Diagnosen. Zwölf Fahrer mussten allein an diesem Tag aufgeben.   Spitzenleistungen sind faszinierend – egal in welcher Sportart. Doch ist ein Wettbewerb erst reizvoll, wenn das Risiko für Unfälle groß ist? Müssen Rennen immer waghalsiger gewählt, Strecken schwieriger abgesteckt werden?“ (Bartens 11.7.2017).

BMX
Chad Kagy
(*1980), USA. BMX-Freestyle. 15 Operationen, u. a. gebrochenes Genick, gebrochener Oberschenkelknochen, 26 Metallteile im Körper.
Daniel Tünte (*1993), DEU. Mehrfacher Bruch des Handgelenks und Bänderrisse.
Luis Brethauer (*1992), DEU: „Unser Sport ist, nun ja, kontaktfreudig. Wir fahren schon mal die Ellbogen und Schultern aus. es kommt vor, dass dich ein Bodycheck in der Steilkurve oder im Flug trifft“ (Der Spiegel 24/2012).

Mountainbike
Tarek Rasouli
, (*1974), DEU. Freeride-Mountainbiker. Unfall 2002 bei einem Stunt über 17 Meter, seitdem querschnittgelähmt.
Danny MacAskill (*1985), USA. 3x Schlüsselbeinbruch, 5x Bruch des linken Fußes, Handgelenk-Zertrümmerung, Rücken-OP.
Peter Henke, D. Mountainbike, Slopestyle: gebrochene Rippe, Bänderriss im Daumen, gebrochene Speiche, Gehirnerschütterung.
Alberto Léon (*1974, †2011), Spanien. Verdacht auf Mithilfe beim Dopingskandal um Eufemio Fuentes, soll Blutbeutel gedopter Sportler transportiert haben, Selbstmord 2011.

1.5. Wintersport

Skirennen
Daniel Albrecht
(*1983), CHE. Schädel-Hirn-Trauma Streif 2009; Knieverletzung 2012; Rücktritt 2013.
Silvano Beltrametti (*1979), CHE. Nach Sturz 2001 querschnittsgelähmt.
Gerhard Blöchl (*1981), DEU. Abriss des Gesäßmuskels, Riss eines Bandes an der Wirbelsäule 2006.
Sarah Burke (*1982, †2012); CAN. Schweres Schädel-Hirn-Trauma nach Sturz.
Florian Eckert (*1979), DEU. Knieverletzungen, Rücktritt 2005.
Beat Feuz (*1987), CHE. Zwei Fersenbrüche, Gesichtslähmung, Kreuzbandrisse 2007 und 2008, Knieverletzungen.
Marc Girardelli (*1963), AUT. 18 Operationen, davon 11 am Knie; Rücktritt 1997.
Alexandra Grauvogl (*1981), DEU. Kreuzbandrisse 1999, 2003, 2010; Rücktritt 2011.
Hans Grugger (*1981), AUT. Zwei Kreuzbandrisse 2007, Knieverletzungen, Wirbelbrüche, Schädel-Hirn-Trauma, Rippenbrüche und Lungenverletzung auf der Streif 2011; Rücktritt 2012.
Jessica Hilzinger (*1997), DEU. „Obwohl Hilzinger erst 19 Jahre alt ist, füllt sie schon eine dicke Krankenakte. Ein kurzer Auszug: Knorpelschaden zwischen Schien- und Wadenbeinkopf, Knochenprellung samt kleinster Brücke. Im April vergangenen Jahres riss sie sich noch das Innenband im rechten Knie“ (Schmid 22.2.2017).
Maria Höfl-Riesch (*1984), DEU. Sportsoldatin; Schulterfraktur 2004, zwei Kreuzbandrisse 2005; Rücktritt 2014.
Kathrin Hölzl (*1984), DEU. Sportsoldatin; Chronische Rücken-Nervenreizung 2011; Rücktritt 2013.
Stephan Keppler (*1983), DEU. Sportsoldat; Innenbandriss im rechten Knie sowie einen Abriss des Syndesmosebandes im linken Sprunggelenk 2011, Rücktritt 2014.
Ivica Kostelic (*1979), HRV. Kreuzbandriss 1999, insgesamt 8 Knieoperationen; Rücktritt 2017.
Matthias Lanzinger (*1980), AUT. Nach Sturz Amputation des linken Unterschenkels 2008.
Scott Macartney (*1978), USA. Nach Sturz auf der Streif 2008 Schädel-Hirn-Trauma; Rücktritt 2011.
Felix Neureuther (*1984), DEU. Sportsoldat; Schulterluxation 2007; Schulterverletzungen; drei Knieoperationen, vier Bandscheibenvorfälle.
Benjamin Raich (*1978), AUT. Kreuzbandriss 2011; Rücktritt 2015.
Susanne Riesch (*1987), DEU. Kreuzbandriss 2005, Bruch des Schienbeinkopfs, Kreuzbandriss und Meniskusverletzung 2011; Rücktritt 2015.
Mario Scheiber (*1983), AUT. Schulterverletzung 2008, Knieverletzungen 2008; Schlüsselbeinbruch und Nasenbeinbruch etc. 2011; Rücktritt 2012.
Gina Stechert (*1987), DEU. Sportsoldatin; Kreuzbandriss 2005 , 2009, 2011, Kniebeschwerden, Rücktritt 2015.
Anna Veith (geb. Fenninger; *1989), AUT. U. a. Sturz Oktober 2015 in Sölden: Riss des rechten Kreuzbands, des rechten Seitenbands, des Innen- und Außenmeniskus und derPatellasehne, derzeit nicht aktiv.
Lindsey Vonn (*1984), USA. Kreuzbandriss 2007, Gehirnerschütterung 2011, 2 Kreuzbandrisse 2013, Innenbandriss, 3 Schienbeinkopf-Frakturen 2015, Bruch Oberarmknochen 2016.
Markus Wasmeier (*1963), DEU. Sportsoldat; Bruch von zwei Rückenwirbeln 1987, Gehirnerschütterung und Knöchelbruch 1992; neues Hüftgelenk 2011; Rücktritt 1994.
Tina Weirather (*1989), LIE. Vier Kreuzbandrisse 2007, 2008 und 2010.
Heidi Zacher (*1988), DEU. Unterschenkelbruch 2012.

Zitate aus der Ski-Welt
Günter Hujara
, FIS-Renndirektor beim Worldcup der Herren: „Während der Laie vielleicht mit 50 km/h den Berg herunterrauscht, werden beim Super-G schon bis zu 100 km/h erreicht, bei der Abfahrt teilweise sogar 150 km/h (…) Reißt einen der Ski dann unkontrolliert herum, hält das kein Knie aus“ (Mertin 9.2.2014).  Hujara nach dem Unfall von Hans Grugger auf der Streif: „Wir werden nichts verändern“ (Neudecker 21.1.2011).
Taillierte Ski: „Mit den taillierten Skiern, die heute im Weltcup gefahren werden, entstehen bei schnell gefahrenen Schwüngen Kräfte, denen bei einem Sturz kein Kniegelenk mehr standhalten kann“ (wdr.de 14.2.2011).

Streif, Kitzbühel 2016
„Fünf Verletzte: So lautet die Streif-Bilanz 2016. Im Rennen am Samstag erwischte es den Norweger Aksel Lund Svindal sowie die beiden Österreicher Hannes Reichelt und Georg Streitberger. Der 33 Jahre alte Svindal, der die Gesamtweltcup-Wertung anführte, erlitt einen Kreuzband- und einen Meniskusriss im rechten Knie. Er wird in diesem Jahr kein Rennen mehr bestreiten können. Die gleiche Diagnose musste nach seinem Sturz auch Streitberger, 34, hinnehmen; bei ihm sind das vordere Kreuzband und der Außenmeniskus gerissen. Super-G-Weltmeister Hannes Reichelt, 35, trug eine Knochenprellung im Knie davon. Bereits im Training hatte es die Österreicher Max Franz (26/Verletzungen am linken Hand-, Knie- und Sprunggelenk) und Florian Scheiber (28/Kreuzband- und Meniskusriss) erwischt“ (Geprellte Knochen, gerissene Bänder, in SZ 25.1.2016).

Johannes Knuth in der SZ: „Die Streif ist die gefährlichste Abfahrtspiste der Welt. Das ist ein Titel, auf den man im Skizirkus stolz ist, und in Kitzbühel haben sie diesen Stolz immer vor sich hergetragen. Sie pflegen ihre Anekdoten, vom Starthaus, in dem es so ‚andächtig still ist wie in der Kirche‘ (Skirennfahrer Hannes Reichelt), von den Älteren, die den Jungen vor der Premiere auf der Streif raten, dass sie lieber nicht ihre Tasche im Hotel ganz auspacken sollen. Weil niemand Lust habe, die Tasche zu packen, wenn sie später im Krankenhaus liegen. Die Gefahr ist hier ihr Geschäftsmodell, knapp 50 000 Zuschauer bezahlen dafür, jedes Jahr, es ist tatsächlich ein bisschen wie im alten Rom: Der Hahnenkamm ist das Kolosseum, die Skifahrer sind die Gladiatoren. Wer ausscheidet, scheidet nicht einfach aus. Er riskiert oft seine Gesundheit, auch sein Leben“ (Knuth 25.1.2016; Hervorhebung WZ). Und zum Rennen 2016 mit den vielen Verletzten und der Frage, ob man das Rennen nicht früher hätte einstellen müssen und ob die Jury den Fahrern eine sichere Piste bereitgestellt habe: „Ja, beteuerte Markus Waldner, Renndirektor des Welt-Skiverbands FIS. Ja, versicherte Christian Mitter, Cheftrainer der Norweger, ‚es war absolut fahrbar‘, zumindest für die besten 30 Fahrer der Welt. Nachdem sie diese 30 Fahrer losgelassen hatten, nachdem die Quote erfüllt war, die das Rennen in die Wertung trug, brachen sie dann doch ab. Den Jungen wollte man das Ganze nicht zumuten, sagte Hannes Trinkl, Waldners Assistent“ (Ebenda; Hervorhebung WZ).

Ski-WM 2011 in Garmisch-Partenkirchen
„Die Abfahrtsstrecke wurde umgebaut, sie haben nun eine Passage, die sie ‚Freier Fall‘ nennen, Gefälle: 90 Prozent. Die Zahl ist plakativ, der Veranstalter wirbt mit ihr“ (Neudecker 29.1.2011).

FIS-Weltcuprennen Garmisch-Partenkirchen 2017
„Die ersten Fahrer hatten sich schon vor dem Rennen abgemeldet. Christof Innerhofer war im Training mit gebrochener Wade gefahren, wie schon bei seinem zweiten Platz im Super-G von Kitzbühel. ‚Ich habe sie getapt‘, sagte er, als spreche er über ein Möbelstück. Am Freitag verzichtete er dann aber doch. Dafür traf es Nyman, der 34-Jährige rauschte unkontrolliert an den Kramersprung, die Piste war dort über Nacht schneller geworden. Er wurde derart flink von der Überraschung gepackt, dass er in Rücklage geriet – Sturz, Knieschaden, Hubschraubereinsatz. Kurz darauf verlor der Kanadier Erik Guay vor dem Seilbahnsprung die Kontrolle über seinen rechten Ski, er lag in der Luft, alle Viere von sich gestreckt, es war ein grausamer Anblick. Am Ende verhinderte Guays Airbag wohl Schlimmeres. Er fuhr mit Prellungen ins Ziel. Dann Giraud Moine, er verlor nach dem Freien Fall die Kontrolle über seine Skier. Nach Angaben der Veranstalter kugelte er sich beide Knie aus und erlitt Bänderverletzungen. Sein Landsmann Guillermo Fayed wurde später noch mit einer Knochenstauchung abtransportiert. Auch Andreas Sander, als 14. der beste Deutsche, wäre im Kramersprung beinahe verunfallt. (…)   Und so kam die Frage auf, während sich nervöse Stille übers Ziel senkte: Hatten die Veranstalter eine sichere Piste präpariert? (…) Markus Waldner, Renndirektor des Ski-Weltverbands, widersprach: Die Fahrrinne des Riesenslaloms habe keinen Einfluss auf die Stürze gehabt, er schob sie auf Pilotenfehler. ‚Die Kitzbühel-Woche hat enorm viel Energie gekostet, ich habe die Läufer mental müde erlebt‘, sagte er: ‚Die Bedingungen waren super, aber die Kandahar verzeiht nichts‘“ (Knuth 28.1.2017).

Ski-WM 2017 in St. Moritz
Martin Khuber
(*1992), KAZ: Sturz mit instabiler Fraktur im Halsbereich; Andreas Zampa (*1993), SVK: Prellung von Fersenbein und Becken; Thomas Biesemeyer (*1989), USA: Schulterluxation und Hüftzerrung; Max Ullrich (*1994), NRV: schwere Prellungen im Becken- und Schulterbereich. Mirjam Puchner (*1992), Aut: Sturz mit Gehirnerschütterung und Schien- und Wadenbeinbruch. Olivier Jenot (*1988), MCO: interne Blutungen.

Skispringen
Nicholas Fairall
(*1989), USA. Sturz im Januar 2015, Wirbelsäulenverletzung, Rippenbrüche, Nierenquetschung, Lähmungserscheinungen.
Thomas Morgenstern (*1986), AUT. Sturz 2003 und 2013; bei Sturz 2014; Schädeltrauma und Lungenquetschung, Rücktritt 2014.
Lukas Müller (*1992), AUT. Sturz im Januar 2016; inkomplette Querschnittslähmung.
Severin Freund (*1988), DEU. Januar 2017 Kreuzbandriss im rechten Knie, Juli 2017 erneuter Kreuzbandriss im rechten Knie (SID 22.7.2017).
Sven Hannawald (*1974), DEU. Olympische Goldmedaille 2002. Magersucht, Burnout-Syndrom, fünf Jahre Therapie. „Ich habe gezeigt, dass erfolgreiche Athleten nicht unbedingt Superhelden sind, die nichts und niemand aufhält, ich hatte alles für den Sport gegeben – bis mein Körper streikte“ (spiegelonline 8.9.2013).
Die Weiten der Sprungschanzen werden durch Umbauten oft noch gesteigert. Beim Skifliegen mit über 100 km/h Absprunggeschwindigkeit liegen sie inzwischen bei über 250 Metern.

Snowboard
Kevin Pearce
(* 1987), USA. Schädel-Hirn-Trauma 2009, 3 Wochen im Koma.
Jeret Peterson (*1981), USA. Freestyle. Alkoholabhängigkeit, Suizid 2011.
Marie-France Roy (*1985), CAN. Bruch des 2. Halswirbels 2010, Ellbogenüberdehnung 2005, vier geprellte Rippen 2007.
Nicola Thost (*1977), DEU. Drei Kreuzbandrisse; Rücktritt 2002.
Silvia Mittermüller (*1983), DEU, Freestyle: „Verletzungen sind der unliebsame Begleiter im Freestyle-Genre. ‚In unserem Sport haben schon die 18-Jährigen ihre Wehwehchen‘, sagt Silvia Mittermüller, die schon vor drei Jahren in Sotschi dabei sein wollte, sogar als Gold-Kandidatin gehandelt wurde. Dann riss die Achillessehne. Auch drei Kreuzbandrisse hat sie hinter sich, in der letzten Saison wäre es fast zu einem vierten gekommen. Dann war es der Meniskus, Ausfall: vier Monate“ (Brunner 12.9.2017).
Maximilian Stark, (*1992), DEU. Sportsoldat; Oberschenkelbruch, Karriereende 2015.
„Es gebe einfache und schwere Tage in seinem neuen Leben, sagt Maximilian Stark. Die einfachen Tage sind die, an denen er aufsteht, ohne dass allzu viel schmerzt. An schweren Tagen ist das so eine Sache. Mit dem Aufstehen. Starks rechter Oberschenkel ist seit ein paar Jahren kürzer als der linke, sein Becken steht deshalb schief, das wirkt sich wiederum auf die Lendenwirbel aus. An schlechten Tagen tut Starks Rücken so sehr weh, ‚da möchte ich am liebsten liegen bleiben‘. Aber alles in allem gehe es ihm doch ordentlich. Jetzt, da er seine Karriere als Snowboard-Profi seit ein paar Tagen hinter sich hat. Mit 23 Jahren“ (Knuth 8.6.2015).

Bob
Nodar Kumaritaschwili
(*1988), GEO. Tod am 12.2.2010  im Eiskanal bei den Olympischen Sommerspielen 2010 in Vancouver. „Bobfahren ist seit 1924 olympisch, seitdem sind 42 Sportler tödlich verunglückt“ (Eberle 3.2.2014).
Udo Gurgel, Konstrukteur der Bobbahn von Vancouver 2010, äußerte: „Vor ein paar Jahren habe er von Funktionären die Anregung bekommen, eine Bahn zu bauen, die Bobs öfter umkippen lässt. Gurgel weigerte sich. Die Russen, sagt er, hätten sich zunächst eine Strecke gewünscht, die schneller sein sollte als die von Vancouver: 160 Stundenkilometer“ (Eberle 3.2.2014).

Eislaufen
Das Beispiel Jewgeni Pluschenko (*1982), RUS. Vier Knieoperationen, Rückeninjektionen, zwölf Operationen der Wirbelsäule, darunter Kunststoff-Einsatz, vier Schrauben. Karriereende 2014.

Biathlon
Das Beispiel Miriam Gössner (*1990), DEU. Sportsoldatin; Gesichtsverletzungen durch Slalomstange 2004; Sturz vom Mountainbike mit vier gebrochenen Lendenwirbel 2013.

Eishockey
Zwei Beispiele für viele:
Stefan Ustorf (*1974), DEU. Insgesamt vier Gehirnerschütterungen; Dezember 2011 Schädel-Hirn-Trauma. Augenprobleme, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schlafstörungen. Rücktritt 2013. Ustorf im März 2013: „Mir geht es vor allem im Kopf unverändert sehr schlecht. Dadurch spüre ich, wie nach und nach auch mein Körper auseinanderfällt (…) Mir war es nicht bewusst, wie schlecht meine Verfassung werden kann, weil ich nicht mehr trainieren, mich nicht mehr körperlich fithalten kann“ (Schmieder 4.3.2013).
Chris Heid (*1983), CAN. Gehirnerschütterung 2011, Zusammenprall 2014 mit erneuter Gehirnerschütterung, Rücktritt 2016, Antrag auf Berufsunfähigkeit. Heid: „Die Ärzte wussten es nicht besser, es ist ein Fehler im System. Denn alles hängt zusammen: Trainer wollen nicht verzichten, Ärzte können nichts sehen, Spieler nicht aufhören. Und die Zuschauer erwarten, dass es auf dem Eis kracht“ (Ferstl 17.2.2016).

Golf
Auch beim Golf zeigen sich Tendenzen zur Invalidisierung. Das Beispiel Tiger Woods (*1975): „Schon wieder musste sich Eldrick ‚Tiger‘ Woods am Rücken operieren lassen, zum vierten Mal in einer Zeitspanne von knapp mehr als drei Jahren. Experten rechnen damit, dass er eine Wettkampfpause von bis zu sechs Monaten einlegen muss. Dies, nachdem er erst im Januar nach einem Unterbruch von 17 Monaten auf die Tour zurückgekehrt war. (…) Restlos bewiesen werden kann es zwar nicht, viele Verletzungen sind aber Spätfolgen seines aufwändigen Spiels. (…) Woods‘ Krankenakte ist mittlerweile fast so umfangreich wie seine Trophäensammlung. Zwischen 1995 und 2008 musste er vier Knieoperationen über sich ergehen lassen. Danach gab er bei Turnieren wegen Beschwerden in der Achillessehne, Halswirbelsäule, im Rücken und Handgelenk auf. Im April 2014 unterzog er sich seiner ersten mikrochirurgischen Diskektomie an der Lendenwirbelsäule, einer Prozedur, bei der der Teil einer Bandscheibe entfernt wird, der auf einen Nerv drückt. (…) Woods kehrte zurück, erreichte aber nie mehr seine frühere Leistungsstärke. Dafür sorgte er Anfang 2015 mit Yips, dem unwillkürlichen Muskelzucken im Treffmoment bei flachen und hohen Annäherungsschlägen für unrühmliche Schlagzeilen. Anschließend schien er beschwerdefrei, aber am 14. September 2015 benötigte er eine zweite Diskektomie, wenige Wochen später, am 30. Oktober, einen weiteren Eingriff in dieser Region“ (Keller 21.4.2015). – „Seit August 2015 hat er gerade zwei Turniere gespielt. Vor wenigen Wochen wurde er das vierte Mal am Rücken operiert. Sein Schwung war lange kraftvoller als der vieler Kollegen. Nun zahlt der Pionier den Preis dieses Muskelspiels“ (Pfeiffer, Friedrich, Das Bild eines gebrochenen Mannes, in spiegelonline 30.5.2017). – „Woods, 41 Jahre alt und mit 14 Major-Titeln dekoriert, befasst sich ernsthaft mit dem Gedanken an das Ende seiner Laufbahn. Nicht weil er das will, sein Sport erfülle ihn schließlich noch immer mit ‚viel Spaß und Freude‘, sondern weil er müsse. Der geschundene Rücken lasse ihm keine andere Wahl. Wegen anhaltender Beschwerden hat der ehemals beste Golfer des Planeten letztmals im Februar unter Wettkampfbedingungen gespielt. Das war in Dubai, nach einer katastrophalen Auftaktrunde stieg der Kalifornier damals aus – weil der Rücken zu sehr zwickte. Schmerzen verspüre Woods, der sich am 25. Oktober für eine Autofahrt unter Medikamenteneinfluss vor einem Gericht verantworten muss, nach der vierten Operation binnen drei Jahren zwar nicht mehr. (…) Für eine Rückkehr auf die Grüns reicht das aber freilich noch lange nicht aus. 60 Yards, so seine Angabe, könne er den Ball mittlerweile schlagen, rund 55 Meter. Zum Vergleich: Die derzeit Besten überwinden Distanzen von mehr als 270 Metern“ (SID, SZ, „Absolut möglich“, in SZ 29.9.2017).

1.6. Noch extremerer Sport

Die X-Games
„Citius, altius, fortius (schneller, höher, stärker) – das olympische Motto passt zu den X-Games wie die Faust aufs Auge. (…) Die Wettbewerbe, die sich mit Bezeichnungen wie ‘Big Air’ (Skateboard, BMX), ‘Best Whip’ (Motocross) oder „Slopestyle’ (Mountain Bike) schmücken, stehen im Zeichen von Höhe, Geschwindigkeit und Kraft. (…) Natürlich dürfen bei derlei Einlagen Kontrolle und Geschicklichkeit nicht fehlen – sowie eine hohe Schmerztoleranz, denn Stürze gehören bei den riskanten Manövern zur Tagesordnung ” (Ignatowitsch 11.5.2013).
Die X-Games sind ein Franchise-Unternehmen des amerikanischen Fernsehsenders ESPN (Entertainment and Sports Production), der zum Disney-Konzern gehört. Das „X“ steht für „extrem“: So laufen diese Sportarten dann auch ab. „Die X-Games kommen ohne schwere Unfälle selten aus, und wer nicht mindestens einmal ziemlich böse verletzt war, wird vermutlich erst gar nicht eingeladen“ (Münchner Merkur 26.6.2013).
Das X-Games-Publikum ist im Durchschnitt 20,4 Jahre alt, männlich und besserverdienend (Ebenda). Davon kann das IOC nur träumen – deshalb schaut es bei den X-Games die Wettbewerbe ab. 1998 holte das IOC die Snowboarder, 2010 ist Skicross olympisch, Slopestyle seit 2014, Skateboarden wird es 2020 sein (Ebenda).

Die kanadische Ski-Freestylerin Sarah Burke gewann viermal den Halfpipe-Titel beim Extremsport-Event X-Games. Sie hatte sich dafür eingesetzt, dass ihre Sportart Ski-Slopestyle in das Programm der Olympischen Spiele  aufgenommen wurde und erstmals 2014 in Sotschi die Freeski-Disziplinen Halfpipe und Slopestyle olympisch wurden (Hahn 21.1.2012). Am 10.1.2012 stürzte sie beim Training in der Olympia-Halfpipe in Vancouver, landete auf dem Kopf und erlitt schwere Kopfverletzungen (SZ 12.1.2012; SZ 13.1.2012). Nach einem Herzstillstand kam es zu “schweren, irreparablen Gehirnschäden” (Tod von Ski-Freestylerin Burke, in spiegelonline 20.1.2012). Neun Tage später starb sie im Krankenhaus von Salt Lake City.

Der Amerikaner Caleb Moore verlor am 24.1.2013 in der X-Games-Disziplin “Freestyle-Snowmobiling” in Aspen/Colorado die Kontrolle über sein 200 Kilo schweres Schneemobil nach einem missglückten Rückwärtssalto und erlag seinen inneren Verletzungen (sueddeutsche.de 1.2.2013; SZ 2.2.2013). Mitte März 2013 strichen dann die Veranstalter des Senders ESPN die Schneemobil-Disziplin.
Weitere X-Games-„Helden“: Paris Rosen, Freestyle-Motocrosser, Unfall 2010 bei Salto vorwärts: Leberriss, Knorpelbruch, Bruch der unteren Lendenwirbelsäule, Lungenquetschung, Abschürfungen und Prellungen. Steffi Laier, “Women’s Enduro X”, Unfall August 2012: Motorrad durchschlägt von hinten den Oberschenkel. Brian Deegan, Rallycross und Moto X Step Up: Beine und Arme gebrochen, Niere und Milz verloren. Manny Santiago, Street League Skateboarding: Sprunggelenke ausgeleiert, Knieschmerzen, Zahnverlust. Jackson Strong, Freestyle Moto X: Knochenbrüche usw. (Winter 21.6.2013; Biazza 21.6.2013; Münchner Merkur 26.6.2013).
Lisa Zimmermann (*1996), DEU. Freestyle-Skifahrerin, sprang als erste Frau den „Switch Double Cork 180“, das sind drei Seitwärts- Drehungen und zwei Drehungen um die eigene Achse. Sturz 2017 in Aspen, Colorado bei den X-Games: Riss von Kreuzband, Innen- und Außenband.

Der Sportwissenschaftler Martin Stern zur Gefahrenentwicklung bei neuen Wintersportarten: “Das Risiko ist Teil der Struktur dieser Sportarten. Neue Tricks, mehr Schrauben, spektakulärere Sprünge – davon leben diese Disziplinen. Die Sportler werden immer den Grenzgang probieren, egal wie die Bedingungen sind. Und die Zuschauer erwarten das auch von ihnen” (Der Spiegel 7/9.2.2013; Hervorhebung WZ). „Und am Streckenrand wartet bereits der Krankenwagen“ (SID, Münchner Merkur 26.6.2013).
Die jungen Sportler können einem leidtun: Sie sind Verführte und setzen ihre Gesundheit aufs Spiel. Die Verführer – Veranstalter, Fernsehsender, Sponsoren etc. – machen mit ihnen das Geschäft.

American Football
Der Film Concussion („Gehirnerschütterung“; deutscher Titel: „Erschütternde Wahrheit“) lief im Herbst 2015 in den US-Kinos an und berichtete über die Gefahren von Kopfverletzungen durch American Football. Interessant ist das Verhalten der Profiliga NFL, die jahrelang einen Zusammenhang zwischen ihrer Sportart und ernsthaften Kopfverletzungen geleugnet hat. „Sie hat sich von einem Geständnis sogar freigekauft, indem sie im August 2013 einer Einigung zugestimmt hat, derzufolge sie 765 Millionen Dollar an ehemalige Akteure bezahlt. Im Gegenzug übernimmt sie keine Verantwortung für Verletzungen und muss auch nicht zugeben, dass diese Erkrankungen durch Football hervorgerufen wurden. (…) Schließlich hat die NFL die Studien von Ärzten wie Bennet Omalu (der das Gehirn des 2002 verstorbenen Footballprofis Mike Webster untersucht und schwere Schäden festgestellt hat) und Ann McKee (die 94 verstorbene ehemalige Spieler untersucht und bei 90 davon die Krankheit

CTE [Chronisch-traumatische Enzephalopathie, auch Dementia pugilistica genannt] nachgewiesen hat) bislang als Quacksalberei abgetan und durch selbst finanzierte Studien zu widerlegen versucht. (Vgl. hierzu auch die  Erkrankung eines Lehrers an CTE 20 Jahre nach seiner Football-Karriere bei: Mooshammer 8.4.2017.) – „Es wird vermutet, dass sie (CTW; WZ) durch wiederholte Zusammenstöße mit dem Kopf verursacht wird. Solche Kollisionen gibt es beim Football häufig. Die Krankheit kann etwa Gedächtnisverlust, Depressionen oder Demenz verursachen. Nachweisen lässt sich CTE momentan aber erst nach dem Tod“ („Überwältigende Indizien“ – Football laut Studie für Gehirnschäden verantwortlich, in spiegelonline 25.7.2017).

„Noch vor dem diesjährigen Endspiel im Februar sagte Ligachef Roger Goodell: ‚Es gibt nun mal Risiken im Leben. Es ist auch gefährlich, auf der Couch zu sitzen.‘ Die NFL kann es sich angesichts von Einnahmen von 13,5 Milliarden Dollar alleine in dieser Saison leisten, ihr ursprüngliches Angebot für ehemalige Profis auf bis zu eine Milliarde Dollar zu erhöhen“ (Schmieder 18.3.2016). Die Medizinerin Ann McKee äußerte: „Wir haben CTE in 90 von 94 NFL-Spielern gefunden, in 45 von 55 College-Athleten und in sechs von 26 High-School-Schülern. Das sind keine Einzelfälle. Wir werden erschüttert sein, wenn wir feststellen, wie weit verbreitet die Krankheit wirklich ist“ (Ebenda). – „ Genau an diesem Punkt wird es interessant: Die Einigung von 2013 verpflichtet die NFL grundsätzlich, nur Zahlungen an Spieler zu leisten, die bis dahin verletzt worden sind. Deshalb haben die Kläger – unterstützt von der Spielergewerkschaft – Einspruch eingelegt. Sie fürchten, dass Profis, die künftig erkranken oder bei denen Spätfolgen festgestellt werden, leer ausgehen“ (Ebenda).

„Das Risiko, so eine Studie der Boston University, für einen Footballspieler etwa an Demenz, Parkinson oder Alzheimer zu erkranken, sei 19 Mal so hoch wie bei einem Menschen, der nie Football gespielt hat“ (Schmieder 4.3.2013). – „Fortan kann sich jeder ehemalige NFL-Akteur untersuchen lassen und dann – je nach Erkrankung und Länge seiner Profilaufbahn – Geld aus dem Kompensationstopf beantragen. Ein Alzheimer-Patient beispielsweise bekommt maximal fünf Millionen Dollar, wer an Demenz leidet, erhält maximal drei Millionen. Zudem gibt es eine Entschädigung für die Angehörigen verstorbener Spieler wie Junior Seau, Dave Duerson oder Ray Easterling. Etwa zehn Millionen Dollar gehen an Forschungseinrichtungen, die sich mit den Folgen von Gehirnerschütterungen beschäftigen. ‘Jetzt werde ich ein bisschen Geld haben, um meine Kinder aufs College zu schicken‘, sagt Kevin Turner. Er spielte einst für die New England Patriots und die Philadelphia Eagles und leidet nun an amyotropher Lateralsklerose, einer Erkrankung des Nervensystems: ‚Ich bin jetzt 44 Jahre alt, wahrscheinlich werde ich die 50 oder 60 nicht erreichen – aber dieser Deal nimmt eine große Belastung von den Schultern derer, die leiden‘“ (Schmieder 31.8.2013).

Zu den Verletzungen kommt die Verabreichung von Schmerzmitteln: „Eine Gruppe von rund 500 ehemaligen Spielern hat die National Football League (NFL) der USA verklagt. Die früheren Profis werfen Teamärzten vor, illegal Arzneimittel verabreicht zu haben, ohne auf Nebenwirkungen hinzuweisen, unter denen viele noch heute litten. Einige der Kläger versicherten, man habe ihnen Knochenbrüche verheimlicht und stattdessen Schmerztabletten gegeben. Andere bekräftigten, dass sie auch lange nach ihrem Ausscheiden von den Schmerzmitteln abhängig blieben“ (SZ 22.5.2014).

Das Bekanntwerden der Erkrankungen bewirkte auch Verhaltensänderungen: „Die Eltern schicken ihre Kinder nicht mehr in Football-Sommercamps, die Zahl der Anmeldungen ist in den vergangenen fünf Jahren um 20 Prozent zurückgegangen. Es sind mittlerweile nicht mehr nur die Verletzungsstatistiken, die Eltern beunruhigen. Eine kürzlich von der NFL in Auftrag gegebene Studie ergab, dass etwa jeder dritte NFL-Profi eine ernsthafte Gehirnkrankheit erleben dürfte. Seit 2010 haben sich neun ehemalige Profis umgebracht. Die Universität Boston hat in 76 Gehirnen ehemaliger Spieler, die sie untersuchte, Defekte entdeckt; insgesamt waren 79 Proben genommen worden. Jake Locker, Jason Worlids, Patrick Willis, Maurice Jones-Drew – diese Spieler waren alle noch keine 30 Jahre alt und sind in den vergangenen Wochen zurückgetreten“ (Schmieder 28.3.2015).

Nachtrag Juli 2017: „Eine soeben veröffentlichte Studie der Neuropathologin Ann McKee aus Boston ist nicht nur schockierend, sie ist vor allem eindeutig: Sie hat die Gehirne von 111 verstorbenen NFL-Profis untersucht und in 110 davon Symptome von CTE (Chronisch Traumatische Enzephalopathie) entdeckt. Die auf den Kopf einwirkende Kraft bei einer Football-Kollision ist vergleichbar mit der, wenn ein Auto mit Tempo 50 gegen die Wand fährt. Ein Akteur erlebt pro Partie bis zu 60 Kollisionen. Was vermutet wurde, ist durch die Studie nun wissenschaftlich belegt“ (Schmieder, Jürgen, Erschütterte Gehirne, in SZ 27.7.2017).

Boxen
Das Beispiel Braydon Smith (*1991, *2015), USA. Tod im Boxring. Zunächst gratulierte Smith dem Sieger noch in einem Interview im Ring. 90 Minuten später kollabierte er im Umkleideraum. Auf der Fahrt ins Krankenhaus wurde er wegen einer Hirnschwellung ins künstliche Koma versetzt. Zwei Tage später starb Smith in Brisbane. Nach dem Tod des Boxers entbrannte in Australien erneut die Debatte über die Gefahren des Boxsports. Shaun Rudd, Präsident der Vereinigung australischer Ärzte in Queensland, forderte eine Verbannung der Sportart: ‚Es ist besonders traurig, wenn jemand stirbt in einem sogenannten Sport, in dem es nur darum geht, den Gegner auszuknocken oder zumindest möglichst viele Schläge gegen seinen Kopf anzubringen‘“ (spiegelonline 17.3.2015).

Wrestling
Pedro Aguayo Ramirez
(*1979, †2015), MEX. Genickbruch beim Kampf. „Die anderen Wrestler dachten offenbar, das gehöre zur Show – und kämpften noch etwa zwei Minuten weiter. Als sie Aguayo Ramirez, Sohn von Wrestling-Legende Perro Aguayo, anstupsten, um ihn zum Weitermachen zu animieren, fiel dessen lebloser Körper kopfüber auf den Boden.  (…) Der Veranstalter des Showkampfes, eine Firma namens The Crash, hat sich bislang nicht zu dem tragischen Vorfall geäußert. Die Box- und Wrestling-Vereinigung Tijuanas nannte den Tod einen unglücklich Unfall, der in einer Risikosportart wie Wrestling eben vorkomme“ (spiegelonline 22.3.2015).

Mixed-Martial-Arts
Joao Carvalho
(*1988, †2016). „Als alles vorbei war, stützte sich João Carvalho mit einem Arm auf, er saß bereits auf dem Boden, das Gesicht vom Blut verschmiert. Dann legte er sich auf den Käfigboden. So sehen die letzten bewegten Bilder der Karriere und des Lebens des portugiesischen Mixed-Martial-Arts-Kämpfers aus, es gibt davon verwackelte Aufnahmen im Internet. 48 Stunden später war João Carvalho tot, er wurde 28 Jahre alt – und durch seinen Tod zu einem Symbol dafür, wie weit das Kämpferische in einem Kampfsport gehen darf. Beim Mixed Martial Arts (MMA) kombinieren die Kämpfer mehrere Kampfsportarten, unter anderem dürfen sie sich noch schlagen und treten, wenn einer bereits am oden liegt. So hatte auch am Samstag Carvalhos Gegner, der Ire Charlie Ward (Kampfname: The Hospital), den Portugiesen noch mit Faustschlägen getroffen, als dieser bereits auf dem Boden kniete. (…)  MMA ist in den vergangenen Jahren immer populärer geworden, gerade durch die amerikanische Ultimate Fighting Championship, die auch Kämpfe in Deutschland veranstaltet. In den USA nimmt die UFC dem klassischen Boxen viele Zuschauer weg“ (SZ 14.4.2016).

Motorsport
Statt vieler möglicher Meldungen eine ganz aktuelle Nachricht: „Der britische Nachwuchspilot Billy Monger, 17, hat infolge eines Unfalls am Sonntag bei einem Formel-4-Rennen in Donington Park beide Beine verloren. Wie Mongers Management mitteilte, sei eine Amputation unumgänglich gewesen. Der Teenager war mit hoher Geschwindigkeit auf das nach einem Defekt deutlich verlangsamte Fahrzeug eines Mitstreiters aufgefahren“ (SID, Nachwuchspilot verliert Beine, in SZ 21.4.2017).
Dass die Autoraserei und der automobile Rennzirkus global seit Jahrzehnten zum Rasen auf den regulären Straßen beitragen, was dort entsprechend hohe Opferzahlen fordert, ist eindeutig.

Zu den gefährlichen Sportarten kommen dann noch andere neue Disziplinen mit Hochrisiko: DeanPotter (*1972, †2015), USA. Free Solo, Speed Climbing, Wingsuit-Sprünge, Tod mit Kollegen Graham Hunt bei Wingsuit-Sprung Mai 2015.

2. Teil: Schlechte Perspektiven

2.1. Zitate zum Sport
Sportszene USA, August 2011
: „Es wird seitdem viel diskutiert in Nordamerika, Rick Rypien ist ja schon der dritte Leistungssportler und der zweite NHL-Profi innerhalb von drei Monaten, der starb: Im Mai nahm Derek Boogaard von den New York Rangers eine Mischung aus Alkohol und dem Schmerzmittel Oxycodon, die er nicht überlebte; Boogaard war alkoholkrank. Im Juli erschoss sich der Freestyle-Skifahrer Jeret Petersen, Silbermedaillengewinner bei Olympia 2010, in einem Canyon bei Salt Lake City, Petersen war depressiv. Boogaard wurde 28 Jahre alt, Petersen 29“ (Neudecker 24.8.2011).
Nicola Thost, Snowboarderin: „Schon ungünstig, wenn du mit 33 Knie hast, die du erst mit 60 haben solltest“ (Becker 11.1.2011).
Ivica Kostelic, Sprecher der FIS-Athletenkommission zum Sturz von Hans Grugger auf der Streif in Kitzbühel: „Es ist schwierig, etwas über einen Kurs zu sagen, wenn hier fast jedes zweite Jahr jemand beinahe tödlich verunglückt“ (Neudecker 24.1.2011). – Die FIS prüfte daraufhin eine Klage gegen Kostelic.
Lindsey Vonn: „Ich bin eine erfolgreiche Skirennfahrerin, niemand will meine Probleme hören“ (Neudecker 18.12.2012). – „Ich habe Probleme mit einfachen Sachen, wie meinen Skischuh anziehen, mir die Haare zu machen, ein Glas Wasser zu heben“ (Otzelberger 16.2.2017).
Kathrin Hölzl, deutsche Skirennfahrerin, zu Schmerzmitteln: „Ich hatte über Monate so viel Zeug genommen und gespritzt bekommen, ich wollte das nicht mehr. Ich habe mich durchgekämpft, aber ich hatte ja solche Schmerzen, dass ich am Start kaum anschieben konnte“ (Neudecker 20.9.2011). Und zur F rage nach der Zahl ihrer Ärzte: „Puh, da habe ich den Überblick verloren (…) Ich würde sagen: 30 oder 40, wenn man Physiotherapeuten und Heilpraktiker mitrechnet. Irgendwann ist das total aus dem Ruder gelaufen“ (Ebenda).
Felix Neureuther zum neuen Riesenslalomski: „Wir fahren jetzt noch aggressiver“ Neudecker 27.10.2012). – „Bei Tests der FIS mit den neuen Skiern verletzten sich gleich vier Testfahrer, alle vier erlitten einen Kreuzbandriss“ (Ebenda).
Marc Girardelli zur Streif-Abfahrt: „Schlussendlich lebt die Abfahrt von Kitzbühel auch von diesen tragischen Unfällen, dem Reiz des Gefährl