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IOC-Knebelvertrag bleibt IOC-Knebelvertrag

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30.9.2014

Geringfügige Änderungen
Am 16.9.2014 schrieben Christophe Dubi, Olympic Games Executive Director und Howard Stupp, Director of Legal Affairs, an die drei Bewerber um die Olympischen Winterspiele 2022 (Oslo, Almaty und Peking) einen Brief, indem sie die Vertragsänderungen im Host City Contract (HCC) priesen. Wenn man den Host City Contract 2022 mit dem Host City Contract 2018 vergleicht, bleibt aber bis auf wenige kleine Änderungen kaum etwas übrig von den versprochenen Verbesserungen für die Austragungsorte:
– Die Präambel beinhaltet nun den Satz: „Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus anderen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar.“ Das steht so in etwa in jeder Verfassung und in den Grundrechten von demokratischen Staaten. Das explizite Verbot von Diskriminierung ist eine Reaktion auf die Vorfälle bei Sotschi 2014: Diskriminierung von Homosexualität, Verhaftung von Umweltschützern und Kreml-Gegnern, Verbot von Oppositionsgruppen etc.
– Das IOC setzt die Vergütung für das Olympische Organisationskomitee (OCOG)  auf 880.000 $ fest (§ 14).
– In § 14 wird Selbstverständliches betont: Schutz der Umwelt, Beachtung von Gesundheits- und Sicherheitsrichtlinien und Arbeitsschutz.
– Das IOC setzt die Zahl der unterzubringenden Personen nunmehr auf 4.900 fest (§ 29).
– Es verpflichtet sich nunmehr im § 33, nach Vertragsunterzeichnung nur im Einvernehmen mit den Ausrichterstädten die Zahl der Sportdisziplinen zu verändern. (Dies war eine der vielen juristisch äußerst anrüchigen Punkte, siehe das in unserem Auftrag erstellte Gutachten von Prof. Gerrit Manssen.)
– Die vom IOC durchgesetzten Steuerbefreiungen sollen nur im Austragungsland geltend gemacht werden (§ 50).
Der Rest der Änderungen erstreckt sich auf Beliebigkeiten wie: Bekämpfung von Manipulation (§ 60), Verhältnis zu Paralympics (§ 62), Veröffentlichungsmöglichkeit des Host City Contracts durch Austragungsort, Nationales Olympisches Komitee und OCOG (§ 85).

Knebelvertrag bleibt Knebelvertrag
Grundsätzlich bleiben alle anderen Knebel in den IOC-Knebelverträgen erhalten: weitgehende Steuerbefreiung, Haftungsfreistellung des IOC, keine Einladung des Ausrichterlandes ohne Zustimmung des IOC möglich, grenzenlose medizinische Versorgung der „Olympischen Familie“, Schweizer Recht gilt, Werbeverbot – selbst im Luftraum (dafür Werbung für die umstrittenen IOC-TOP-Sponsoren wie Dow Chemical) etc.
Und dann gibt es natürlich noch neben vielen anderen Verträgen und Handbüchern die „Olympische Charta“ – da steht zum Beispiel drin: „Das NOK, das OK (Organisationskomitee) und die Gastgeberstadt haften gesamtschuldnerisch für alle Verpflichtungen … mit Ausnahme der finanziellen Haftung für Ausrichtung und Durchführung dieser Spiele, die vollständig die Gastgeberstadt und das OK gesamtschuldnerisch trifft … Das IOC übernimmt keinerlei finanzielle Haftung hinsichtlich Ausrichtung und Durchführung der Olympischen Spiele“ (Olympische Charta S. 38; Hervorhebung WZ).
IOC-Knebelverträge bleiben IOC-Knebelverträge, da helfen auch kleine Auflockerungen nicht. Die Kosten für Olympische Sommer- und Winterspiele schrauben sich seit geraumer Zeit auf zweistellige Milliardenbeträge hoch. Das IOC bleibt das IOC – eine Riege älterer Herren entscheidet. Das IOC, nie vergessen, hat den gesamten Weltsport vertikal durchorganisiert. In Deutschland hat dies der ehemalige DOSB-Präsident Thomas Bach besorgt: im jetzigen Job IOC-Präsident seit September 2013.
Dazu kommt ein zunehmend größerer Einfluss von IOC-Mitgliedern aus totalitären Staaten. So hat Russland inzwischen vier Mitglieder, China drei, Kuba zwei – und sogar Simbabwe, Syrien und Nordkorea haben ein IOC-Mitglied (Wikipedia). Wobei auch einige Vertreter aus demokratischen Ländern keine Garanten für Demokratie sind, siehe zum Beispiel den Schweizer René Fasel, Präsident des Internationalen Eishockeyverbandes und enger Verbündeter des weißrussischen Diktators Alexander Lukaschenko.
Vergleiche: IOC und Diktaturen; Internationale Sportverbände und Diktaturen

Und schließlich fördert das IOC – genau wie die Fußballverbände Fifa und Uefa – das globale Spektakel Brot und Spiele. Die Welt hat angesichts der aktuellen Geschehnisse – Terror, Kriege, Flüchtlinge, Klimaerwärmung, um nur einige zu nennen – andere Probleme als archaische Gladiatorenspiele.

Pressestimmen
Nick Butler in insidethegames.biz sieht die IOC-Änderungen vor allem im Hinblick auf die Bewerbung Oslo 2022: „Die Änderungen sind Teil eines Versuches, die Planungen für Bewerberstädte leichter zu machen und zusätzliche Kosten zu verhindern, die mit neuen Disziplinen verbunden sind. Sie kommen in einer Zeit, wo sich eine vielfältige Opposition in Städten gebildet hat, vor allem in Westeuropa.- Dies ist besonders im Fall von Stockholm, Krakau und Lviv/Lemberg der Fall, die sich Anfang des Jahres aus dem Bieterwettbewerb um Olympische Spiele zurückgezogen haben (plus Graubünden und München; WZ). Die Oslo-2022-Offiziellen behaupten nun, die IOC-Zusicherungen gäben ihnen mehr Sicherheit bezüglich der Kosten und beließen die Spiele innerhalb des Kostenansatzes“ (Butler, Nick, Oslo 2022 claim IOC changes to Host City contract „well-received“, in insidethegames.biz 23.9.2014).
 
Heinz-Peter Kreuzer
im Deutschlandfunk: „… das IOC will die Organisatoren jetzt auch auf Selbstverständlichkeiten verpflichten. Bei allen olympiabezogenen Projekten sollen in Bezug auf Planung, Bau, Umweltschutz, Gesundheit, Sicherheit und Arbeitsrecht lokale, regionale und nationale Gesetzgebung sowie internationale Abkommen berücksichtigt werden“ (Kreuzer, Heinz-Peter, IOC ändert Regelungen für Winterspiele, in deutschlandfunk.der 23.9.2014). – „Das Osloer Bewerbungskomitee für die Winterspiele 2022 hat die Host City Verträge öffentlich gemacht. Denn im Gegensatz zu den Konkurrenten Peking und Almaty müssen die Norweger sich einer kritischen Öffentlichkeit stellen. Ed Hula, Gründer und Chefredakteur des Olympia-Branchendienstes Around The Rings sieht in den Änderungen eine Schützenhilfe für die Skandinavier. ‚Oslo ist die einzige der drei Bewerberstädte, von der wir wissen, dass sie Schwierigkeiten mit dem Host City Contract hat. Für Almaty und Peking ist dieser Vertrag kein Problem. (…) Es ist offensichtlich, dass das IOC sicherstellen will, dass sich jede Stadt um Olympische Spiele bewerben kann. Es ist besorgt, dass noch ein Bewerber aus dem Rennen um die Winterspiele 2022 aussteigt. Mehrere Städte haben sich schon zurückgezogen und das IOC will die Situation vermeiden, dass sich nur zwei Städte bewerben“ (Kreuzer, Heinz-Peter, Schützenhilfe für Oslo, in deutschlandfunk.de 28.9.2014).

Christoph Becker in der FAZ: „Nun sollte man annehmen dürfen, dass sich der Ausrichter der Spiele ohnehin mit den Grundprinzipien der Veranstaltung identifiziert, aber die Praxis in Sotschi vergangenen Winter sah ja so aus: Homosexuellendiskriminierung. Kritische Umweltschützer, die während der Spiele zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt wurden. Kosakische Hilfspolizisten, die pferdepeitscheschwingend für ihre Vorstellung von Recht und Ordnung sorgen… Kein Wunder, dass Dubi schreibt, die Anpassung sei auch als Ergebnis ihrer Erfahrungen mit den vergangenen Spielen zu verstehen. Eine zusätzliche Verpflichtung auf Werte der Olympischen Charta kann nicht schaden. Tatsächlich aber hatte ja der Protest der Umweltschützer in Sotschi nach Auskunft des IOC nichts mit Olympia zu tun. Und wer für Homosexuelle oder andere Unterdrückte unter Putins Regime hätte demonstrieren wollen, durfte, Antrag und Genehmigung vorausgesetzt, in einer Protestzone ein Plätzchen finden. So ähnlich war es 2008 in Peking schon“ (Becker, Christoph, Partner gesucht, in faz.net 24.9.2014).

Johannes Aumüller in der SZ zum neuen Antidiskrimierungs-Satz in der Präambel: „So war das Gesetz, mit dem Russlands Regierung die ‚Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen‘ verbot, eines der Kernthemen vor Wladimir Putins Prestigeprojekt an der Schwarzmeerküste. Die Welt empörte sich nachdrücklich darüber. Nicht so das IOC. (…) ‚In mehr als 70 Ländern dieser Welt ist Homosexualität verboten – im Gegensatz zu Russland. Und da sind einige dabei, mit denen die westliche Welt exzellente Beziehungen unterhält‘, verteidigte sich IOC-Präsident Thomas Bach in einem Interview kurz vor Spiele-Beginn“ (Aumüller, Johannes, Ein Satz bringt noch nicht viel, in SZ 26.9.2014).