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DOSB-Doping-Desinformation

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15.11.2012, ergänzt 19.11.2012

Vorgeschichte
Seit 2009 arbeiteten zwei Forschergruppen von der Universität Münster und der Humboldt-Universität Berlin im Auftrag des staatlichen Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) und des DOSB – mit 500.000 Euro vom Bundesinnenministerium unterstützt – an neuesten Ergebnissen zur Dopingforschung in Westdeutschland und dem wiedervereinigten Deutschland. Der vielversprechende Titel lautet: “Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation”. Das Forschungsprojekt lief vom 1.4.2009 bis 31.3.2012. Die Münsteraner Forscher präsentierten ihre Analyse über die Medienberichte. Die Berliner Forschergruppe mit dem brisanteren Thema des konkreten Dopings und der Doper hat sich im März 2012 wohl aufgrund von Geldmangel und Repressalien aufgelöst. Der brisanteste Zeitraum 1990 bis 2007 blieb damit unbearbeitet.
Einige Sportverbände hatten kein Interesse an einer Kooperation, ebenso wenig wie die Nada, die keine Dokumente nach Berlin sandte. Das BISp hatte von den Forschern bei jeder Namensnennung eine juristische Begründung für eine Veröffentlichung verlangt. Eineinhalb Jahre nach dem Start des Projektes mussten beide Forschungsgruppen eine Vereinbarung unterschreiben, die ihnen untersagte, etwas zu veröffentlichen, was nicht vom BISp genehmigt ist (Apitius 8.11.2012).
Dieser „Auftragsdatenverarbeitungs-Vertrag“ wurde im Sommer 2011 geschlossen: „Er sieht vor, dass der Auftraggeber schon während der Arbeit Zugriff auf die Ergebnisse hat und dass die kopierten Quellen zum Abschluss vernichtet werden müssen“ (Reinsch 8.11.2012). – „Spitzer (Professor der Berliner Forschungsgruppe; WZ) beklagt, dass er wegen eines solchen Knebelvertrages das Recht am Umgang mit seinem Wissen verliere und, wie  in seinem Fall erleben müsse, dass fünf brisante  wissenschaftliche Arbeiten über den deutschen Sport, die er dem BISp in den vergangenen zwei Jahren geliefert habe, bis heute unveröffentlicht seien“ (Ebenda).

Das Geld

Dazu kamen finanzielle Probleme: “Die Berliner Forscher werfen dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft vor, Gelder bewusst zurückgehalten zu haben” (spiegelonline 6.11.2012).
“Mittlerweile prüft das Bundesverwaltungsamt (BVA), ob das BISp die gut 200.000 Euro Forschungsförderung von der Berliner Gruppe zurückfordern kann” (Drepper 2.11.2012a). Der DOSB griff die Berliner Gruppe an, die sich aus “nicht nachvollziehbaren Gründen aufgelöst” habe (Ebenda).
Der Darmstädter Sportsoziologe Prof. Karl-Heinrich Bette äußerte dazu: “Mir ist kein sportwissenschaftliches Forschungsprojekt bekannt, das mit vergleichbar hohen juristischen Hürden umstellt wurde. Wenn man in die Vereinbarungen hineinschaut, in denen es eben nicht nur um die Veröffentlichung von Namen geht, hat man den Eindruck, dass es sich bei dem Dopingprojekt um eine geheime Militärforschung oder um Studien zum Terrorismusmilieu handelt. Eine Auftragsforschung, die Licht ins Dunkle der Dopingverwendung in Westdeutschland bringen soll, stelle ich mir anders vor. Offensichtlich gibt es große Ängste im organisierten Sport und in den sportnahen Fördereinrichtungen, dass Erkenntnisse publiziert werden könnten, die aus Sicht der Auftraggeber besser im Verborgenen bleiben sollten” (Drepper 2.11.2012b; Hervorhebung WZ).

Präsentation der „Ergebnisse“
Am 6.11.2012 präsentierten DOSB und BISp den ersten Teil der Münsteraner Forscher. BISp-Direktor  Jürgen Fischer verteidigte die restriktive Haltung zur Namensnennung: Es  sei nie Ziel der Studie gewesen, “Handlungen Einzelner zu untersuchen und zu skandalisieren” (Doping in Deutschland: Forscher präsentieren Zwischenergebnisse, DOSB PM 6.11.2012). DOSB-Generaldirektor Vesper lästerte: „Ich will einen belastbaren Bericht und keinen Kriminalroman“ (SZ 8.11.2012). Einer der Berliner Autoren, Professor Giselher Spitzer, entgegnete: „Von wegen Kriminalroman. Knochentrockener kann unser Abschlussbericht gar nicht sein“ (SZ 8.11.2012). Der Sporthistoriker Erik Eggers wunderte sich: „Ich finde es sehr erstaunlich, dass uns Herr Vesper vorwirft, Kriminalromane zu schreiben obwohl er unseren Bericht gar nicht gelesen hat“ (Ebenda). Die Berliner Forscher wollten ihren Bericht nach wie vor veröffentlichen: „Wir wollen publizieren, und dann soll die Wissenschaft und nicht Herr Vesper oder Herr Fischer darüber entscheiden. Die haben doch keine Ahnung“ (Ebenda).
Vesper lobte in diesem Zusammenhang die angeblich gezogenen Konsequenzen wie Anti-Doping-Berichte “oder das Deutsche Schiedsgericht, das immer mehr zur Institution des deutschen Sports geworden sei” (Ebenda).
Zum Thema Schiedsgericht vergleiche: Erfurter Blutdoping und Geiss Lutz.

BISp-Direktor Fischer erklärte, dass ein Vertreter der Humboldt-Universität zur Präsentation der Ergebnisse eingeladen worden sei. HU-Vizepräsident Peter Frensch entgegnete: “Herr Fischer hat keinen Vertreter der Humboldt-Universität  eingeladen. Er hat darüber hinaus auch keinen Vertreter des Projektes eingeladen” (Kempe 7.11.2012).

Wortmeldung aus Berlin
Holger J. Schnell, ein Mitglied der Berliner Forschergruppe, wies in einem Beitrag in der FAZ auf die seit 1986 vom BISp selbst geförderte Studie “Regeneration und Testosteron” hin, die nach Einschätzung der
Berliner Forscher als “Doping-Forschung” anzusprechen ist (Schnell 16.11.2012). Die offizielle Betonung lag auf „Regeneration“: „Doch wir konnten nachweisen, dass die Teilstudien von vornherein auch der leistungssteigernden Wirkung von Testosteron nachgingen“ (Ebenda).
Schnell warnte auch vor dem britischen „Transhumanisten“ Andy Miah, der Doping als Teil „der freien Gestaltungsmacht des Menschen“ wertet. Miah sieht die olympische Bewegung auf gutem Weg und schreibt: „Das olympische Motto citius, altius, fortius kann betrachtet werden, als verewige es transhumanistische Vorstellungen über die Dynamik der Natur des Menschen“ (Ebenda). Für Miah ist die Grenze zum „posthumanen“ Stadium im Spitzensport schon überschritten. „Hätte Miah recht, wären alle Anti-Doping-Bemühungen im Spitzensport gescheitert“ (Ebenda). Die Perspektive heißt Verlust der „humanen Leitungskultur im Sport“: „Eine offen geführte gesellschaftliche Selbstverständigung über die normativen Bedingungen und Grenzen menschlicher Leistungssteigerung ist heute vielleicht dringender als je zuvor. Wenn diese Diskussion unterbleibt, ist zu befürchten, dass die Eigendynamik der pharmakologischen und biotechnologischen „Selbstverbesserung“ unumkehrbare Fakten schafft“ (Ebenda).

Fazit

Sportpädagoge Hansjörg Kofink äußerte im Interview in der Berliner Zeitung:
„Wir brüsten uns damit, dass der Sport autonom ist. Aber die Zahlungen des Staats an den Sport sind immens. Wie kann jemand Zielvereinbarungen geheim halten, der nichts zu verbergen hat? Heraus stellte sich: Für London waren doppelt so viele Medaillen zielvereinbart wie herauskamen. Alle Zahlen kennen wir trotz der Klage Ihres Journalistenkollegen Daniel Drepper heute noch nicht. Die Politik weiß entweder nicht, was sie mit dem Hochleistungssport macht. Oder sie ist auf derselben Linie wie die DDR – wir müssen das Renommee des Staates durch Leistungssport aufpolieren. Das ist ein Treppenwitz: Die Staaten mit der besten Medaillenbilanz waren stets die, die autoritär ihren Sport betrieben − die DDR, UdSSR, China oder Kuba. Vielleicht will sich die Bundesrepublik da einreihen? Der deutsche Staat hat sein Verhältnis zum Hochleistungssport noch nicht gefunden. Er hat übernommen, was die DDR gemacht hat, tut aber nicht, was unserem Staatssystem entspricht. Das ist mein heftigster Vorwurf(Bühler 5.11.2012).

Robert Ide kommentierte im Zusammenhang mit der verunglückten Doping-Studie im Tagesspiegel:
“Wer dopt, betrügt gleich mehrfach. Sich selbst natürlich  – mit unkalkulierbaren gesundheitlichen Risiken. Seine sportlichen Gegner und das zahlende Publikum – deshalb ist Doping in vielen Ländern ein Strafbestand. Und natürlich wird der Sport als Ganzes betrogen… Seltsam, dass es Dopern in Deutschland so einfach gemacht wird. Es gibt kein vernünftiges Gesetz gegen Doping und kaum eine ermittelnde Behörde… das Aufdecken von Netzwerken des Betrugs wie  im Fall Lance Armstrong – all das wird hierzulande nicht legitimiert… In Deutschland ist der Kampf gegen Doping an einem toten Punkt angekommen… Es ist, als wolle eine große stille Allianz gar keine Doper entdecken, gar keine möglichen Skandale aufdecken. Es ist, als betrüge sich der deutsche Sport derzeit selbst – mit seinem Selbstbild, ein Vorreiter im Kampf gegen Betrug zu sein” (Ide 6.11.2012; Hervorhebung WZ).
Diese “große stille Allianz” hat mehrere Namen: DOSB, Bundesministerium des Innern, Nada, Bundesinstitut für Sportwissenschaft und einige mehr.

In der Süddeutschen Zeitung stand dazu:
„Näher liegt, dass sich gewisse Erleichterung breitgemacht haben dürfte im Lager des Sports. Spitzer und sein Team hatten ja schon bei der Präsentation des ersten Zwischenberichtes im Herbst 2011 für Aufsehen gesorgt, als sie Westdeutschland für die Jahre 1970 bis 1990 ein ’systematisches Doping‘ attestierten und dem langjährigen NOK-Chef Willi Daume, Vorgänger des DOSB-Chefs Thomas Bach im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) sogar ‚billigende Mitwisserschaft‘ vorwarfen (SZ 8.11.2012).

Andreas Strepenick schrieb in der Badischen Zeitung:
„Es tauchen immer mehr Belege dafür auf, dass auch die politische Führung im Westen des Landes in den 70er Jahren den Einsatz leistungssteigender Medikamente im Spitzensport forderte und finanzierte… Es ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, dass die Forschergruppe um Giselher Spitzer und Erik Eggers von dem Augenblick an, als ihre Erkenntnisse in der Öffentlichkeit kursierten, mundtot gemacht werden sollte. Es gibt Hinweise darauf, dass der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das dem Innenministerium zugeordnete Bundesinstitut für Sportwissenschaft der Gruppe im Frühjahr die Gelder entzog und die Veröffentlichung ihres Berichts bis heute blockiert. Die Schlussfolgerung ist verheerend. Wie ernsthaft führt der DOSB den Kampf gegen Doping, wenn er nicht bereit ist, sich der Vergangenheit zu stellen? Blockieren Handelnde von einst bis heute die Aufklärung? Fürchten Funktionäre und Politiker die Tatsache, dass die Archive weniger gründlich gesäubert worden sind, wie das mancher gehofft haben mag? Die Berliner fanden „überreichlich Quellen“, wie sie berichten. Besonders sensible Dokumente indes sollen verschwunden sein.

Daniel Drepper schrieb in zeitonline:
„Im Jahr 2010 stellten sie (die Berliner Forscher) erste Ergebnisse zu den fünfziger und sechziger Jahren vor. Sie belegten unter anderem Doping-Forschungen der Universität Freiburg, die die Wirkung von Aufputschmitteln testeten. Ein Jahr später verursachten sie weitere Schlagzeilen und sprachen von „systemischem Doping“ in Westdeutschland. Dabei beschuldigten sie das BISp, das Innenministerium und den DOSB, in den siebziger und achtziger Jahren von Doping nicht nur gewusst, sondern es gefördert zu haben.
Sie brachten Indizien ans Licht, dass die Fußball-Weltmeister von 1954 mit Pervitin gedopt wurden. Auch drei Vizeweltmeister von 1966 seien gedopt gewesen. Mit diesen Ergebnissen provozierten sie den Widerstand des Deutschen Fußball-Bundes. Der schloss ihnen seine Archive – nicht als einziger Sportverband übrigens – und reagierte mit einem Rechtsgutachten, das den Forschern weitere Behauptungen verbieten will. Diese Helden will man nicht stürzen. Die Berliner Gruppe wehrte sich mit einem Gegengutachten. Sie schont weder große Namen noch ihren Auftraggeber.
Die Probleme des Forschungsprojektes sind symptomatisch, der deutsche Sport wirkt lasch im Kampf gegen Doping. Weitere Beispiele: Der Großen Kommission der Universität Freiburg zur Aufklärung des Dopings an der Uniklinik sollen entscheidende Akten nicht zur Verfügung gestellt werden. Eine Präsentation der Ermittlungsarbeit lässt seit Längerem auf sich warten.
Die Politik sperrt sich im Bunde mit dem Sport seit Jahren gegen ein Anti-Doping-Gesetz. Zur Prüfung des Arzneimittelgesetzes bestellte das Innenministerium zuletzt einen Gutachter, der schon vorher gesagt hatte, dass er gegen eine Verschärfung der Gesetze ist. Das Ergebnis war dementsprechend.
Auch die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) wirkt matt. Aus Ermittlungen der Freiburger Staatsanwaltschaft zog sie keinen Nutzen. Das Erfurter Dopingverfahren versucht sie seit Monaten möglichst geräuschlos zu beenden, interpretiert wohlmeinende Einzelmeinungen als endgültige Regeln, stellt sich damit gegen die Welt-Anti-Doping-Agentur“ (Drepper 9.11.2012).

Vergleiche auch: Erfurter Blutdoping und Gleiss Lutz

Quellen:
Apitius, Benjamin, Berliner Forscher fühlen sich ausgebootet, in tagesspiegel.de 6.11.2012
Bühler, Karin, Kofink: „Es  sollte viel unter den Teppich gekehrt werden“, in berliner-zeitung.de 5.11.2012
Bundesinstitut für Sportwissenschaft, BISp bezieht Stellung, bisp.de 13.11.2012
„Die haben keine Ahnung“, in SZ 8.11.2012
DOSB, „Doping in Deutschland“: Forscher präsentieren Zwischenergebnisse, PM 6.11.2012
Drepper, Daniel
– Verhinderte Doping-Aufklärung: 500.0000 Euro-Projekt versinkt  im Chaos, in derwesten-recherche.org 2.11.2012a
– Dopingexperte Bette: “Sport  hat  große Ängste  vor neuen Erkenntnissen”, in derwesten-recherche.org 2.11.2012b
– Warum scheiterte das Dopingprojekt? Sport gibt HU Berlin die Schuld, in derwesten-recherche.org 6.11.2012
– Besser keine Sporthelden stürzen, in zeitonline 9.11.2012
Gebremste Forschung, in SZ 7.11.2012
Hartmann, Grit, Nützliche Unkenntnis, in berliner-zeitung.de 13.11.2012
Heftige Kritik überschattet Präsentation, in spiegelonline 6.11.2012
Ide, Robert, Am toten Punkt, in tagesspiegel.de 6.11.2012
Kempe, Robert, Form statt Inhalt, in dradio.de 7.11.2012
Reinsch, Michael, Knebelvertrag für Forscher, in faz.net 8.11.2012
Schnell, Holger J., Selbstverbesserung bis jenseits des Menschlichen? in faz.net 16.11.2012
Strepenick, Andreas,  Leitartikel: Staatsdoping „light“, in badische-zeitung.de 9.11.2012
Weinreich, Jens, Viel Ärger, wenig Erkenntnis, in spiegelonline 6.11.2012