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Jubelkinder

„München 2018“ lässt Kinder jubeln – für das IOC und die internationale Presse.

Politik im Schatten der Olympiabewerbung

22.3.2011

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Nachtrag: Beklemmend war es schon, als die Bewerbungsgesellschaft Anfang März dieses Jahres für die internationale Presse und den IOC Kinderjubel arrangierte, um das Gefühl der olympischen Begeisterung zu s(t)imulieren.

Was ist geschehen? Am Donnerstag, den 3.3.2011, haben 80 ausgewählte Schulkinder mit Eltern und Betreuern am Nordeingang des Olympiastadions das Evaluierungskomitee des IOC und die Presse empfangen. Die Choreographie war vorab akribisch festgelegt worden: »… ab 16.05 Ankunft des IOC: ca. 3 Minuten Präsentation, Kinder ruhig, halten nur Pappschilder in die Höhe (Festival of Friendship) / ab 16.10 Presse bekommt Zugang: Kinder jubeln, winken, Trillerpfeife, Stadionatmosphäre…«

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„Jubeln nach Plan“, und noch dazu Kinder. Da liegt es auf der Hand, mit Katja Riedel in der SZ vom 3.3.2011 gleich an Nordkoreanische »Heerscharen fähnchenschwingender, uniformierter Schulkinder« zu denken. Nordkorea ist aber nicht das Maß. Vom eigenen Nordkorea-Vergleich erschrocken, kehrt Katja Riedel auch stracks wieder zurück zur Harmonie des Hier-und-Jetzt im charmanten München: »München ist nicht Pyeonchang und schon überhaupt gar nicht Pjöngjang. München hat seine eigene Choreographie. Und die wird im Olympiastadion sicher auch noch ganz viel Raum für ganz viel spontane kindliche Freude lassen.«

Weder nordkoreanisches Extrem noch bayerische Harmonie entsprechen der Wirklichkeit der deutschen Bewerbung um Olympia 2018. Die vorgeschobenen Jubelkinder sollten ernst genommen werden. Sie sind ein Indiz für eine Form der Politik, die bei der Olympiabewerbung deutlicher zu Tage tritt als im Normalbetrieb: Olympia 2018 als Ausnahmeereignis entbindet auf bemerkenswerte Weise von der üblichen politischen Vorsicht.

Die angestrebte 16-tägige olympische Selbstinszenierung Münchens, Bayerns, Deutschlands im Jahr 2018 in der Weltöffentlichkeit ist bar jeder gesellschaftlichen Notwendigkeit. Es handelt sich um ein Spektakel mit einem Budget von über 3 Milliarden, Tendenz steigend. Auf den Weg gebracht von einer Handvoll Politiker und Sportfunktionäre. Kein Bürger hat für ein solches überflüssiges Mega-Ereignis eine Mehrheit auf die Beine stellen wollen oder ist bisher dafür zur Wahl gerufen worden. Wenn sich jetzt Münchens Ude für ein Bürgerbegehren „pro Olympia“ in Garmisch-Partenkirchen stark macht, dann geht es ihm nicht um ein Votum der Bürger, sondern allein darum, zu verhindern, dass das von Garmischer Bürgern initiierte originale Bürgerbegehren nicht virulent wird: Die angestrebte juristische Prüfung der (Nicht)-Legitimität der Verträge, die das IOC mit den „Host-Cities“ abschließt, zielt auf den prekären Kern der vom IOC beanspruchten Gestaltungshoheit der Austragung olympischer Spiele (Thomas Kistner am 7.3.2011 im Deutschlandfunk). Selbst Ude hat diese Verträge »eine Zumutung« genannt (Heiner Effern, Jan Bielicki: Klares Votum für Olympia, in SZ 12.11.2009). Würde während der Wahl des Austragungsortes dem IOC „der Prozess gemacht werden“, dann wäre das für beide, für den Kandidaten „München 2018“, aber auch für das IOC selber, das Garmisch-Partenkirchner „Damoklesschwert über Durban“. Am 6.7.2011 kommt das IOC im südafrikanischen Durban zur Wahl zusammen.

Die Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen und München, Schmid und Ude, wollten nie einen Bürgerentscheid und hielten dagegen, wann es nur ging: »Garmischs Bürgermeister Thomas Schmid und sein Münchner Kollege Ude erteilten Rufen nach Bürgerentscheiden eine klare Absage: „Dazu“, so Ude, „ist es jetzt viel zu spät.“« (SZ vom 7.11.2009). Die Idee, Olympia ins Land zu holen, ist damit bisher auch bar jeder direkten demokratischen Legitimation. Bei den letzten Kommunalwahlen am 2.3.2008 war Olympia kein Thema, weder in Garmisch-Partenkirchen noch in München. Die letzte relevante Berichterstattung zur Olympiabewerbung stand drei Monate vor den Wahlen in den Gazetten, als sich Mitte Dezember 2007 der DOSB für München entschied. Die Politiker, auf die es – im doppelten Sinne – ankommt, schöpfen ihr Recht alleinig aus dem Nimbus „Olympia“. Nicht als Gewählte, sondern als Auserwählte meinen sie das Recht zur Durchsetzung des Projektes zu besitzen. Sie umgeben sich mit der Aura des Olympischen und sind sich sicher, dass damit die Sache des Abwägens obsolet geworden ist. Diese von den Sportfunktionären und Politikern phantasierte endemische Eindeutigkeit (in Abwandlung von „Wir sind Papst!“: „Wir sind Olympia!“) bringt sonst schlummernde Potentiale des Politischen an den Tag: Wo so viel PRO ist, da kann und darf es – auch in einer Demokratie – kein CONTRA geben.

Mit dieser Anmaßung ist ein gewisser herrschaftlicher Gestus verbunden. Die Charaktere des politischen Personals zeigen sich unverblümter als sonst. Wer hätte z.B. bei Christian Ude diese gehässige, höhnische, rechthaberische Art vermutet, mit der er immer wieder und ungebremst alle Olympiagegner niederkanzelt, ob GRÜNE im Landtag oder Landwirte in Garmisch? Fürstengehabe!

Die Medienmogelei wird zur wohlfeilen Methode, Mehrheiten herzustellen oder den politischen Willen zu simulieren. Keiner der JA-Sager von Umfragen nach dem Motto »Befürworten Sie Olympische Winterspiele 2018 in München und Garmisch-Partenkirchen?« (siehe Kasten) wird die Lasten der Vorbereitung und die Konsequenzen zu tragen haben, die einen Ort wie Garmisch-Partenkirchen vorher überfallen und die dann dauerhaft nicht mehr weichen werden.

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»Münchens Zahlen-Offensive für Olympiamärchen 2018. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag von dpa befürworten 73 Prozent Olympia 2018 in München«

Diese Schlagzeile geisterte während der Anwesenheit der Evaluierungskommission des IOC Anfang März durch Deutschlands Presse. Ohne über den Wortlaut der Frage, s.o., Auskunft zu geben!

Gibt man diesen Schlagzeile bei Google ein, so erzielt man 357 Treffer (6.3.2011). Alle Treffer waren Medien, Printmedien, Radioanstalten, etc. D.h., 357 Medien, von der Süddeutschen Zeitung über den Schwarzwaldboten bis zu den Kieler Nachrichten, verbreiteten dasselbe „Olympiamärchen“.

Allerdings: 90% der Befragten würden freiwillig keinen Obolus für Olympia hergeben – obwohl sie als Steuerzahler schon längst dabei sind. Hat man ihnen das gesagt? Und wie wäre denn das Ergebnis gewesen, wenn man die Leute mit den finanziellen Risiken des Spektakels verunsichert hätte? Risiken, die der Bund und der Freistaat Bayern längst schon per Gesetz übernommen haben!

Was man von solchen Umfragen zu halten hat …

»Nach einer Auswertung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) befürworten nur 61 Prozent der Deutschen Olympische Winterspiele 2018 in München« (FAZ vom 18.3.2011). Das IOC hatte im Dezember 2010 im Geheimen die Deutschen auf deren Olympiabegeisterung geprüft. Das IOC erwartet dabei Zustimmungsraten wie einst im Ostblock. Da gefallen die 93 % Südkoreaner für Pyeongchang schon besser.

»“Diese Zahlen beunruhigen mich nicht, weil ich spüre, dass die Begeisterung in der Bevölkerung steigt und die Zahl der Gegner abnimmt“, sagte Aufsichtsratschef Michael Vesper. Die IOC-Werte seien im Dezember ermittelt worden, „einer Zeit, die durch den Höhepunkt der Grundstücksstreitigkeiten, durch den Grünen-Parteitag und durch die Ankündigung eines Bürgerbegehrens geprägt war“, sagte Vesper.« (FAZ 18.3.2011).

Sonne und Regen die wechseln sich ab. Mal geht’s im Schritt, mal geht’s im Trab…

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Die Einheimischen, denen 2018 die Massen auf den Leib rücken sollen und vorher schon die Bagger, werden von den Politikern zu Lakaien degradiert. Die Landwirte und andere Eigner von Grund haben sich für das Gelingen der Pläne mit dem Abschluss der Überlassungsverträge für ihre Grundstücke zu sputen. Man lässt es sie spüren. Doch die Bürger am Ort des Geschehens sind nicht die Lakaien, sondern die eigentlichen Gastgeber – mit allen Vorleistungen und Aufräumarbeiten, die das für sie bedeutet. Statt dass sich die Erfinder des Spektakels rechtzeitig des Votums der Bürger vergewissert hätten, ob sie als Ansässige nun tatsächlich Gastgeber sein wollen oder nicht, hat man sich mit mächtigen wirtschaftlichen Interessen verbündet. Top Down und nicht Bottom up ist die Devise.

Und nun, wo der Schuss schon draußen ist, also das Bid Book in Lausanne, zittern sie vor dem Ergebnis des Bürgerentscheids in Garmisch-Partenkirchen. Beide Bürgerbegehren, „NOlympia“ und „OlympJa“, liegen nun dem Gemeinderat von Garmisch-Partenkirchen zur Prüfung vor. Aber keine Bange! In der Schlacht um die Zustimmung zu München 2018 in GaP wird die Presse wie eine Eins hinter Schmid, Ude, Bach & Seehofer stehen – die PRO-Paganda fast aller Medien während des Besuchs der IOC-Evaluierungskommission hat da und wird auch künftig keinen Zweifel aufkommen lassen!

So erhält man seit Beginn der Olympiabewerbung wie durch eine Lupe einen überraschenden Einblick in sonst verdeckte oder noch gar nicht entbundene Funktionsweisen des politischen Prozesses. Die Volte in der Atompolitik der Bundesregierung in Folge der Ereignisse in Japan macht es noch deutlicher. Die schwarzgelbe Mehrheit im Bundestag hatte mit dem Gesetz zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke Ende 2010 „Vorsorge für das Volk“ gegen „Profit für Konzerne“ eingetauscht. Auf gespenstische Weise kommt es im Schreckensschatten der Havarie von Fukushima-Daiichi an den Tag. Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch bezeichnet diese Politik, die da am Horizont aufscheint, als „postdemokratisch“ (Colin Crouch: Postdemokratie, F/M 2008).: »Damit meine ich eine Situation, in der zwar alle Institutionen der Demokratie weiterbestehen, aber gleichzeitig die politische Energie aus ihnen entwichen ist. Sie sind nur noch leere Hüllen. Die politischen Inhalte … bestimmen nicht mehr die Bürger, sondern hochspezialisierte PR-Teams, … die Lobbys erhalten größtmögliche Freiräume.« (Interview mit Colin Crouch im Spiegel Nr. 32 vom 4.8.2008).

Dazu gehört die Entmündigung des politischen Bürgers, wenn der Sport zum wesentlichen Motor der gesellschaftlichen Integration hochstilisiert wird. Dazu gehört eine Jubel-Presse, die mit Olympia 2018 einen sportlichen Mega-Event puscht, an dem sie jetzt schon zu verdienen hofft („Bei Olympia unkritisch“, eine Analyse der Presselandschaft von Sebastian Kemnitzer in der taz vom 2.3.2011).

Mega-Events ersetzen überhaupt die nachlassende Gestaltungskraft der Politik. So hat sich das Planungsbüro Albert Speer & Partner (AS&P), das in der ARGE München 2018 Verantwortung für den Masterplan von Olympia 2018 trägt und das sich parallel dazu anschickt, mit der unverantwortbaren Fußball-WM 2022 in Katar groß abzusahnen, ganz der magischen Kraft der Mega-Events verschrieben. »Mega-Events [bieten], speziell in Verbindung mit Sport, Städten die einmalige Gelegenheit, sich selbst neu zu erfinden und Planern die Möglichkeit zu geben, eine neue – nachhaltige – Identität zu entwerfen« (ALBERT SPEER & PARTNER: Ein Manifest für nachhaltige Stadtplanung. Think local, act global. Von Jeremy Gaines und Stefan Jäger. München 2009, S. 104). Robert Kaltenbrenner kritisiert diese Verengung des Politischen auf das Ereignis in der SZ vom 23.9.2009 („Universalkleber der Städte“) mit den Worten: »Postulate wie dieses mögen aus der Binnenperspektive eines stets um Aufträge bemühten Planungsbüros verständlich sein. Doch damit wirft eine unkritische Festivalisierung von Stadtentwicklung ihre Schatten: Unter normalen Bedingungen geht scheinbar gar nichts mehr.«

Gänzlich auf der Strecke bleibt die Wahrhaftigkeit der politischen Akteure. Denn was ist unwahrhafter als die Inszenierung von Kinderjubel nach Plan oder wenn der Deutsche Alpenverein (DAV) seine an Olympia verlorene Unschuld als Naturschutzverband retten will, in dem er vorgibt, Oberammergau vor Olympia gerettet zu haben (siehe Ges(ch)ichtsklitterung – Der DAV und Oberammergau).

Allerdings ist zu vermuten, dass die Mächtigen und ihre Macher das Märchen selber glauben. So z.B. der GRÜNE und Generaldirektor des DOSB Michael Vesper, wenn er behauptet, mit Olympia 2018 würde eine „Fackel der Nachhaltigkeit“ angezündet werden. Hier steht das Credo von Albert Speer & Partner Pate, der Mega-Event sei der Vater der Nachhaltigkeit. Hannah Arendt schrieb zu solchen Illusionen bereits vor 40 Jahren in „Wahrheit und Lüge in der Politik“:

»… die Techniken der Geschäftsreklame [sind] tief in die innenpolitischen Propagandamethoden der Staaten eingedrungen, wo man … Meinungen, Gesinnungen und bestimmte politische Praktiken nicht anders verkauft als Seifenpulver und Parfüms. … Die auf den inneren Gebrauch zugeschnittenen Images [sind] eine große Gefahr für die gesamte Erfahrungswirklichkeit …, und die ersten Opfer dieser modernen Art zu lügen sind natürlich die Hersteller dieser Fiktionen selbst. … Was dann folgt, geschieht schon fast automatisch. Die Täuscher wie die Getäuschten müssen, schon um ihr »Weltbild« intakt zu halten, sich vor allem darum kümmern, daß ihr Propaganda-Image von keiner Realität gefährdet wird. So kommt es, … daß Täuschung ohne Selbsttäuschung in voll entwickelten Demokratien nahezu unmöglich ist.« (Hannah Arendt, Wahrheit und Lüge in der Politik. München 1972, S.80ff.)

Nicht Nordkorea – aber kein Grund zum Jubeln in unserm Land!