© Text: Wolfgang Zängl, Axel Doering, Thomas Pampuch, Gesellschaft für ökologische Forschung
Zweiter Versuch: München 2022? Nein danke!
Heben Olympische Winterspiele den Reiz eines Touristenortes?
Eines der Hauptargumente, die Olympischen Winterspiele auch ins Oberland zu holen, ist der erhoffte positive Effekt für den Tourismus. Garmisch-Partenkirchen, so wurde schon bei „München 2018“ argumentiert, könne sich mit den Winterspielen als „beliebtes Reiseziel präsentieren“. Auch im Chiemgau und am Königssee erhoffen sich die Befürworter der Spiele jetzt einen „Imagegewinn“ für ihre Orte.
Aber ist es wirklich so? Heben Olympische Winterspiele den Reiz eines Touristenortes? Werden mehr Besucher nach Garmisch-Partenkirchen, nach Ruhpolding, nach Inzell, nach Königssee kommen, weil hier 18 Tage lang vor den Augen der Welt um Gold, Silber und Bronzemedaillen gekämpft wurde? Steigert so etwas die touristische Attraktivität eines Ortes? Zweifel sind angebracht.
Prof. Martin Müller, Fachgebiet Olympische Spiele, hat für die hochgelegenen Skigebiete St. Moritz und Davos unter dem Titel „Winterspiele taugen nicht als Imageträger“ folgende Thesen aufgestellt:
Die Winterspiele sind in vielerlei Hinsicht die falsche Medizin.
- Die Breitenwirkung der Olympischen Spiele sind für Sponsoren wie Coca-Cola und McDonald’s interessant und tragen damit ein falsches Image in die Orte (Konzernwerbung statt lokale Spezialitäten).
- Das kurze mediale Spektakel und die Konzentration von Infrastruktur auf engstem Raum widersprechen allen Versuchen eines naturnahen Tourismusangebots.
- Die Anforderungen der Winterspiele an die Infrastruktur sind für die Gemeinden im Alpenraum inzwischen viel zu groß. Während Albertville 1992 noch 39 000 Personen in offiziellen Funktionen akkreditierte, erreichte Vancouver 2010 bereits annähernd die zweieinhalbfache Zahl. Es geht also nicht ohne die Schaffung neuer Kapazitäten, die aber auf einen stagnierenden touristischen Markt treffen ( s. dazu: Müller, Martin „Winterspiele taugen nicht als Imageträger“ ,in Neue Züricher Zeitung NZZ, 4. November 2012) –
Das gilt nicht nur für die Schweiz, sondern erst recht für die tiefer gelegenen Voralpengemeinden.
Deshalb: NEIN zu „München 2022“
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Anlässlich der Bewerbung „München 2018“ schrieben wir zum Thema „Imagegewinn“:
So hatte Oberstdorf nach der “FIS Nordischen Ski-WM 2005″ nicht etwa einen Zuwachs an Übernachtungen, sondern musste einen Rückgang beklagen (2005: 2408.708 Übernachtungen, 2006: 2.265.700 und 2007: 2.2.70.476 Übernachtungen, 2008: 2328.022 Übernachtungen – Quelle: oberstdorf.de). Schon im Jahr 2000 kam Jürg Stettler vom Institut für Tourismuswirtschaft in Luzern in einer Studie über die ökonomischen Auswirkungen von Sportgroßereignissen zu dem Ergebnis: „…dass die Erwartungen, die im Vorfeld von Sportgroßveranstaltungen geweckt werden, zu hoch sind und daher im Nachhinein nicht erfüllt werden“, um dann zu fordern: „Bei den Investitionen der öffentlichen Hand gilt es zudem zu überprüfen, ob die alternative Verwendung in anderen Bereichen die größeren Effekte auf die Produktion und Beschäftigung haben als Investitionen und Subventionen zugunsten von Sportgrossanlässen.“
Wäre das nicht auch in Garmisch-Partenkirchen sinnvoll?
Schon jetzt profitiert die Gemeinde weit mehr vom Sommer- als vom Wintertourismus.
Mehr als 60 Prozent der Übernachtungsgäste kommen im Sommer, und nur ca. 10 Prozent der Übernachtungsgäste im Winter wollen Skilaufen. Demnach wäre es für die Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen wesentlich sinnvoller, eine intakte Natur zu erhalten, als in eine zerstörte Landschaft zu investieren, die dauerhaft nur von einer kleinen Minderheit genutzt wird.
Der Tourismusexperte Prof. Thomas Bausch (der auch Leiter des Garmischer Alpenforschungsinstitutes ist) veröffentlichte 2009 die Studie „Der Tourismusort Garmisch-Partenkirchen: Führen Wintersportgroßveranstaltungen aus oder in die Krise?“ (FH München, April 2009)
Verfehlte Tourismusstrategie
Bausch sieht die Strategie von Garmisch-Partenkirchen, auf sportliche Großveranstaltungen wie Neujahrsspringen, die Ski-WM 2011 und die geplanten Olympischen Winterspiele zu setzen, aus verschiedenen Gründen als verfehlt an:
–Sanfte Wintersportarten wie Winterwandern sind für Touristen wichtiger: „Wandern steht vor Skifahren, gemütliche Aktivitäten in der Summe deutlich vor dem Wintersport“.
–Garmisch-Partenkirchen gibt als Zielgruppe die LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) an, bietet dieser Klientel aber kaum etwas und kann auch hier nichts investieren, weil das Geld in die Ski-Infrastrukturen fließt.
–„LOHAS“ werden durch zerstörte Landschaft eher abgeschreckt. Wenn Garmisch-Partenkirchen gerade diese Zielgruppe ansprechen will, ist Qualität und Authentizität gefordert – und genau die würde man mit Olympischen Winterspielen (vom Bau bis zur Austragung und den sichtbaren Folgen in der Landschaft) aufs Spiel setzen.
–Garmisch-Partenkirchen hat kein „Sommerprofil“, obwohl der Sommertourismus überwiegt (2007 standen 470.000 Übernachtungen im Winter 702.900 im Sommer gegenüber).
Bei einer Befragung, was Urlauber in Garmisch-Partenkirchen suchen, stand Erholung und Entspannung an erster Stelle (22 %); Natur, Landschaft, Berge, Alpen kamen auf den zweiten Platz (17 %). Der Wintersport landete mit 13,9 % auf Rang drei.
–Garmisch-Partenkirchen lebt nur zu einem Viertel vom Tourismus. „Dennoch legitimiert man eigene Wünsche immer mit dem Argument der Wirtschaftsförderung des Tourismus… Es findet keine Differenzierung zwischen Tourismus und den Wünschen der einheimischen Bevölkerung statt.“
–Der neue Garmisch-Partenkirchen-Slogan „Erlebe deine wahre Natur“ ist „bereits mit der WM äußerst belastet und wird mit Olympia im Keim erdrückt. Olympia und Natürlichkeit sind wegen der Dimensionen unvereinbar“.
–Stattdessen steckt Garmisch-Partenkirchen seine Investitionen in Wintersportgroßveranstaltungen, verkauft dafür Gemeindebesitz wie Sozialwohnungen und verschuldet sich total. Dieses gebundene Geld fehlt für die Zukunftsgestaltung.
–Um die hohe Verschuldung zu amortisieren, müsste sich die Gästezahl in den nächsten Jahren verdreifachen.
–Das Classic-Skigebiet von Garmisch-Partenkirchen ist klein, wenig sonnig und schwierig und kann nicht mit Kitzbühel, Lech oder St. Moritz konkurrieren. Nach einem halben Tag sind alle Pisten abgefahren.
–Garmisch-Partenkirchen hat in den letzten Jahren eine völlig verfehlte Investitionspolitik betrieben. Dabei hat Prof. Bausch das Problem der Klimaerwärmung noch gar nicht thematisiert, ein weiterer Grund, warum die Investitionen in die Skiinfrastrukturen kontraproduktiv sind.
Eine ähnliche Einschätzung hat Bauschs FH-Kollege, Professor Theo Eberhard im Bayrischen Fernsehen zu Protokoll gegeben („quer“ 10.2. 2010 ): „Der Wintertourismus ist wahrscheinlich ein stagnierender Markt, vielleicht eher ein schrumpfender Markt. Der Tourismus ist kein wirkliches Argument für die Durchführung der Spiele… Wir haben kein Beispiel gefunden, dass es nach den Olympischen Spielen – insbesondere Winterspielen – ein nennenswertes höheres Aufkommen im Tourismus gegeben hätte als vorher… Es kostet Geld und bringt keins.“
Wäre es angesichts solcher Perspektiven nicht die beste Idee, mit einem klugen und begründeten Verzicht auf eine weitere Bewerbung sich als Ort genau als das zu präsentieren, was er laut Eigenwerbung (Originalton webseite www.gapa.de) sein will:
Ein Ort zum Wohlfühlen. Gesunde Luft, entspannte Atmosphäre und traumhafte Lage – Garmisch-Partenkirchen ist ein Ort zum Wohlfühlen. Hier kannst du durchatmen und neue Kraft tanken. Du kannst dich fallen lassen, ausspannen, das Leben genießen. Und mehr noch: Bei uns kannst du viel für deine Gesundheit tun. Ganz gezielt und nachhaltig. Schließlich gehört Garmisch-Partenkirchen zu den 15 Heilklimatischen Kurorten der Premium-Class – durch sein besonders gesundes Klima und seine dauerhaft hohe Luftqualität.
Besser als mit einem Verzicht auf das Lärm-Baustellen-Abholz-Mega-Event Olympischer Winterspiele könnte sich das neue Wohlfühl–Garmisch-Partenkirchen gar nicht präsentieren. Die Bewunderung der Welt wäre dem Ort sicher. Denn er hätte ein Zeichen gesetzt, dass es ab nun – auch angesichts des Klimawandels – in die richtige Richtung geht.
Nachtrag:
Der Kommentar des Münchener Oberbürgermeisters Ude – kurz vor seinem Abflug nach Vancouver (ebenfalls in der „Quer“-Sendung) – weist den richtigen Weg: „Man kann“, so sagt er da im weißen Anorak, „sich ausklinken und sagen: wir verzichten für alle Zukunft an diesem Weltereignis mit seiner medialen Bedeutung, mit seiner kommunikativen Bedeutung, mit seiner ökonomischen Bedeutung. Zu verzichten, das kann man machen. Aber dann muss man ehrlich sagen, man spielt nicht mehr mit und überlässt es von vorneherein anderen…“
Genau darum geht es: Verzichten – und statt bei Olympia woanders mitspielen. Wo es schöner ist. Die meisten Touristen wird es freuen.