Geschäft
Horst Dassler (* 1936, † 1987), der Sohn von Adolf Dassler, entwickelte neue Formen des Sportmarketings – und der Sportkorruption. “Als noch niemand von Testimonials sprach, verschenkte er bei Olympia 1956 Schuhe an Athleten. Rund 70 gewannen darin Gold. Eine tolle Werbung für Adidas” (Fritsch 21.5.2014).
Horst Dassler baute ab 1959 Adidas Frankreich in Landersheim auf. Er entwickelte drei Schritte der Markteroberung: Im ersten Stadium wurde den Athleten Geld für das Tragen von Adidas-Produkten angeboten; im zweiten Stadium wurde die Kontrolle über die Sportverbände angestrebt. Das dritte Stadium ab 1976 war die strategische Werbung. „Für die einen ist Horst Dassler ein Visionär, weil er als erster das Potenzial des Milliardengeschäfts Sport erkanne. Für die anderen ist er der Erfinder der modernen Sportkorruption“ (Fritsch 21.5.2014).
1977 gründete der Sohn von Adolf Dassler, Horst Dassler mit dem Werbefachmann Patrick Nally im Steuerparadies Monaco das Marketingunternehmen SMPI, eine Firma für Bandenwerbung. Das kaam nicht von ungefähr: „Die traditionelle Fernsehwerbung hat einen gefährlichen Gegner bekommen: die Fernbedieung. Naht der Werbeblock, zappen die zuschauer auf einen andderen Kanal – die Reklamequoten sausen in den Keller. Die Sportverarkter finden eine genial einfache Lösung: Die Werbung muss eben direkt ins Programm“ (Kistner 2012, S. 55).
Dazu gründete Dassler 1982 die Firma ISL (International Sports and Leisure): Sie besaß alle Verwertungsrechte an der Fußball-WM, der Leichtathletik-WM, der Basketball-WM und der Olympischen Spiele.
Dassler gilt als Erfinder des „Sportmarketing“, das sich durch üppige „Provisionen“ und „Honorare“ für Funktionäre und Sportler auszeichnet und eine Kommerzialisierung des Sports und ein Zurückdrängen des reinen Amateursportlers bedeutete. 1980 trat Horst Dassler in die Geschäftsführung von Adidas ein.
Da Amateursportler nicht werben durften, hatte Dassler die simple Idee, die Athleten indirekt selbst zu Werbeträgern zu machen: Die drei Streifen auf Schuhen und Kleidung wurden sein globales Markenzeichen. Bei den Olympischen Sommerspielen 1988 in Seoul liefen drei Viertel der Sportler für Adidas Reklame.
„Aber Horst Dassler will sich nicht mehr damit begnügen, jedem Sprinter einzeln hinterherzurennen. Statt mühsam Sportler einzukaufen, geht es jetzt um ganze Fachverbände, Mannschaften und Länderaufgebote. aus den schwitzigen Umkleidekabinen verlagerte er die Scharmützel in die Suiten der Nobelhotels“ (Kistner 2012, S. 41).
„Legendär sind die Umschläge, die Dassler bei Olympia 1968 in Umkleidekabinen verteilte. Um seine Schuhe zu tragen, verlangten die Sportler mittlerweile eine Bezahlung, auch weil der Konkurrent Puma auf dieselbe Tour mitmischte. Effizienter wurde Horst Dassler, als er Mannschaften, Offizielle, ganze Verbände für sich gewann. Oft mit Bargeld, meist in Hinterzimmern. Der unscheinbare Dassler galt als der Boss des Weltsports“ (Fritsch 21.5.2014).
Bis zu seinem Tod war er Miteigentümer von Adidas und des Marketingunternehmens ISMM/ISL.
Dasslers Geheimdienst
Dassler führte Buch über alle wichtigen Sportfunktionäre und baute eine Sportspionage auf, die berüchtigte „Sportpolitische Abteilung“. Er „war ein Urheber der systematischen Korruption im Weltsport“ und befehligte eine „Turnschuh-CIA“ (Weinreich 8.11.1999; Kistner 2012, S. 38). Der Spiegel stellte 1986 fest, dass Dassler eine Kartei angelegt hatte „über zahllose Spitzensportler und nahezu jeden besseren Funktionär dieser Erde“ mit „besonderen Vorlieben und Abneigungen“, sogar mit dem bevorzugten Frauentyp. Dassler lobte, seine Kartei sei „besser als beim KGB“ (Spiegel 23/1986). – „Dassler betrieb Sportspionage. Ein Team von Mitarbeitern und Lobbyisten legte für ihn Karteien von Funktionären und wichtigen Entscheidern an, darin notiert waren deren Vorlieben und Abneigungen. Es ging um Geld und Frauen. Historiker sprechen von der ‚Turnschuh-CIA'“ (Fritsch 21.5.2014).
Schließlich gründete Dassler die Zeitschrift sport intern. Professor Alan Tomlinson sagte bei einem Vortrag 1997: „sport intern war Horst Dasslers Organ. Von 1980 bis zu seinem Tod 1987 war sport intern ein Teil von Dasslers politischer Waffenfabrik. Im Prinzip baute Dassler ein internationales Spionagesystem für die Sportindustrie auf“ (Kistner/Weinreich 2000, S. 290).
Dassler und das IOC
Horst Dassler unterwanderte sowohl FIFA als auch IOC und richtete beide Sportorganisationen kommerziell aus. In einem Aufsatz schlug er in der Olympic Review 1980 vor, die Olympischen Spiele meistbietend zu versteigern. Das IOC-Komitee sollte „eine aus Vertretern des Sports und der Wirtschaft zusammengesetzte Institution werden“.
Dassler bestimmte nicht nur IOC-Mitgliedschaften, er besetzte dort auch höchste Ämter. Mit FIFA-Präsident > João Havelange handelte Dassler aus, dass > Juan Antonio Samaranch 1980 IOC-Präsident werden sollte. „Dasslers Motto war: Wer Informationen hat, kann andere erpressen, sie lenken. Wer nicht mitmachte, wurde ersetzt. 1974 half er João Havelange auf den Fifa-Thron, dessen Konkurrent Stanley Rous war kein Verbündeter. 1980 machte Dassler José Samaranch zum IOC-Präsidenten, kurz darauf Sepp Blatter zum Fifa-Generalsekretär. „Blatter sah zu Dassler auf wie zu einem Gott, weil er wusste, dass er ohne Dassler keine Chance hatte, den Job bei der Fifa zu bekommen“, lässt sich André Guelfi, ein damaliger Partner Dasslers, zitieren. Blatter sei eine Marionette gewesen. Auch der aktuelle IOC-Präsident Thomas Bach arbeitete unter Dassler. Der Weltsport wird von Dassleristen regiert“ (Fritsch 21.5.2014).
„Nach welch ausgeklügelter Strategie der Adidas-Chef seine Lizenzen vergibt, wird am Beispiel der Sowjetunion deutlich. Kurz vor der Olympiade 1980 in Moskau unterschrieb Dassler in Herzogenaurach unter beträchtlichem Pomp den Vertrag. Kurz darauf gelangte der Dassler-Spezi Samaranch mithilfe des von den Russen angeführten Ostblocks auf den Chefstuhl im Internationalen Olympischen Komitee (IOC)“ (Spiegel 23/1986).
Dassler erhielt folgerichtig 1984 von Samaranch den Olympischen Orden.
„Wie eng die Verbindungen zwischen Dassler und dem IOC sind, zeigen weitere Peinlichkeiten: Mindestens drei IOC-Funktionäre sind auch für das Haus Adidas tätig. Der Fechter Thomas Bach vertritt die Sportler im IOC und ist zugleich PR-Mann in Herzogenaurach. Der Tunesier Hassine Hamouda ist Chefredakteur des Adidas-Sprachrohrs Champion d’Afrique und außerdem Mitglied der IOC-Pressekommission … Richard Pound, der ehemalige Kraulschwimmer, gehört zum IOC-Exekutivkomitee und … handelte für das IOC die Verträge mit Dasslers ISL-Satellitenfirma aus. Dessen ungeachtet vertritt Pounds Anwaltssozietät die Firma Adidas“ (Spiegel 23/ 1986).
Auch der Intimus von Franz Beckenbauer, Fedor Radmann, lernte bei Horst Dassler: „Radmann entstammt der Wiege der Wertewelt von Gefallen und Gegengefallen, von Kungelei mit maximalem Profit. Radmann stammt aus der Schule von Horst Dassler, dem Adidas-Herrscher, der einst so geschickt die internationale Sportpolitik lenkte, daß die mächtigsten Anführer von Juan Antonio Samaranch, Ex-IOC-Präsident, über Joao Havelange, Ex-Weltfußballchef, bis zu Primo Nebiolo, Ex-Welt-Leichtathletikchef, ihm ihre Inthronisierung zu verdanken hatten. Ab 1979 arbeitete Radmann für die Abteilung ‚Internationale Beziehungen‘ bei Adidas. Ein auf Dauer dienliches Betätigungsfeld: Auch einer wie IOC-Vizepräsident Thomas Bach durchlief ab 1985 diese Kaderschmiede der Sportdiplomatie“ (Winterfeldt 11.3.2006; Hervorhebung WZ).
Dasslers Spitzenämter
Dassler machte den Brasilianer Joao Havelange zum FIFA-Präsidenten. 1982 soll Dassler angeblich Havelange mit einer Million Dollar geschmiert haben, um die Vermarktungsrechte der Fußball-WM 1982 für seine ISL zu bekommen. Die Summe stand so in den Büchern, und die Vermarktungsrechte gingen an Dassler.
Er beschäftigte in Landersheim den jungen Marketingexperten Sepp Blatter, der später FIFA-Generalsekretär und Nachfolger von Havelange wurde. Dassler machte 1985 Thomas Bach zu seinem Direktor für internationale Promotion, der bei Adidas für die europäischen Länder zuständig war. Neun Monate nach Horst Dasslers Tod verließ Bach im Dezember 1987 die Firma Adidas. Er sagte damals: „Ich fühle mich nicht Adidas verpflichtet, sondern Horst Dassler persönlich“ (Kistner 2012,, S. 32).
Dassler machte auch Anwar Chowdhry (bei Adidas zuständig für den asiatischen Raum) auf der Sitzung in Bangkok 1986 zum Präsidenten des Internationalen Boxverbands AIBA. Adidas ließ sich die AIBA-Präsidentschaft für Chowdhry rund 200 000 Mark kosten (umgerechnet etwas über 100 000 Euro) – inklusive Barbesuche, Massageinstitute und Bargeldzahlungen. Die Investition lohnte sich: Chowhdry besetzte dieses Amt trotz aller Skandale und dunklen Machenschaften bis zum Jahr 2002 (Kistner/Weinreich 2000, S. 243).
Der südkoreanische Taekwando-Präsident > Kim Un Yong wurde von Dassler 1986 an die Spitze der Vereinigung Internationaler Sportverbände GAISF gehievt – und wurde gleichzeitig IOC-Mitglied.
Der frühere Partner von Horst Dassler, Patrick Nally, sagte: „Horst hat immer und von Anfang an Leute gekauft“ (Spielel 23/1986). Umgerechnet 75 bis 100 Millionen Euro investierte er jährlich in Sportler und Funktionäre. In ihrem Buch Der olympische Sumpf erwähnen Kistner und Weinreich Dasslers Personalrochaden bei der FIFA und bei der UEFA, im Internationalen Basketballverband, im Schwimm-Weltverband etc. und schreiben: „Dassler installierte Leute wie Samaranch, Primo Nebiolo, Joao Havelange, Kim Un Yong, Mario Vásquez Rana oder Joseph Blatter, er bildete Thomas Bach weiter aus, er hatte die Hand über allen wichtigen Vorgängen – ein Erich Mielke des Weltsports“ (Kistner, Weinreich S. 91).
Horst Dassler starb im April 1987. Der Spiegel prophezeite schon 1986 hellsichtig:
„Und doch könnte es sein, dass Horst Dassler nur die Tür aufgemacht hat für jene, die zwar nicht ganz so clever und schnell, aber dafür mit dem ganz großen Geld ausgerüstet sind … Gemessen an Konzerngiganten wie IBM, BASF, Opel oder Canon sind die adidas-Schuhfabriken ein mürber Unterbau … Big Business könnte auf die Idee kommen, dass es das Geschäft besser allein macht – ohne den gewieften Schustersohn aus Herzogenaurach.“
Fazit von Thomas Kistner: „Tatsächlich beherrscht ihn (den Weltsport) immer noch die Handvoll Leute, die Dassler seit den siebziger Jahren aufgebaut und ausgebildet hat… Unterstellt man einen Wahlsieg des seit Jahren als Präsidentschaftskandidaten gehandelten Bach 2013 im IOC und spekuliert man, dass Blatter entgegen seinen Versprechungen auch 2015 weitermachen will, dann könnte die Sportwelt auf bald ein halbes Jahrhundert Dasslerismus hinauslaufen“ (Kistner 2012, S. 32).
Jens Weinreich zu Blatter und zum Fifa-Skandal Mai 2015: „Grundsätzlich lässt sich sagen: Deutschland ist ein Hort der Sportkorruption – das moderne, weltumspannende Korruptionssystem wurde von einem Deutschen erfunden: dem ehemaligen Adidas-Chef, ISL-Gründer, Beckenbauer-Freund und Blatter-Busenfreund Horst Dassler († 1987). Das System Dassler wirkt in Strukturen und Personen bis heute“ (Weinreich, Jens, Q & A zur Parallelgesellschaft FIFA, in krautreporter.de 5.6.2015).
Quellen:
Das Reich im Zeichen der drei Streifen, in Spiegel 23/1986
Dassler will alles kontrollieren, in Spiegel 23/1986
Der schlappe Champion, in manager-magazin 28.8.2001
Fritsch, Oliver, Adidas: Die Erfinder der modernen Sportkorruption, in zeitonline 21.5.2014
Jennings, Andrew, Das Olympia-Kartell – Die schäbige Wahrheit hinter den fünf Ringen, Reinbek 1996
Kistner, Thomas
– Die Schattenmänner des Olymp, in SZ 14.4.2008
– Fifa Mafia. Die schmutzigen Geschäfte des Weltfußballs, München 2012
Kistner, Thomas/Weinreich, Jens, Der Olympische Sumpf, München 2000
Simson, Vyv/Jennings, Andrew, Geld, Macht und Doping, München 1992
Weinreich, Jens, Jeder zu seiner Zeit, in Berliner Zeitung 8.11.1999
Winterfeldt, Jörg, Beckenbauers Freund soll Salzburg Olympia bescheren, in welt.de 11.3.2006