Erfurter Blutdoping
Der Erfurter Arzt Andreas Franke hat von mindestens 2005 bis April 2011 Sportlern des Olympiastützpunktes Erfurt Blut entnommen, dieses UV-behandelt und wieder rückgeführt (Weinreich 19.3.2012). Das gilt als Blutdoping und war von der Wada verboten. Die Nada blieb weitgehend untätig, ebenso der DOSB.
DOSB-Präsident und IOC-Vizepräsident Bach äußerte noch Ende Januar 2012 im MDR zur umstrittenen UV-Blutbehandlungsmethode: „Für das IOC gilt der Wada-Code, der sagt in aller Klarheit, dass derartige Methoden seit dem 1. Januar 2011 verboten sind” (SZ 1.2.2012). Der CDU-Abgeordnete und Mitglied des Bundessportausschusses, Klaus Riegert, beschrieb die UV-Blutdopingaffäre in Erfurt als „Verkettung unglücklicher Umstände”. Er äußerte: „Wir wehren uns gegen Vorverurteilungen” (spiegelonline 21.3.2012).
Dabei steht im Punkt M 1.1. der Wada prohibited list explizit: „Dabei gilt jede Entnahme von Blut und eine Wiedereinbringung in die menschliche Blutbahn als Doping, wenn sie rote Blutzellen enthalten” (Burkert 9.2.2012). Auch bei der Internationalen Konferenz am 22.9.2012 in Stockholm wurde erklärt, dass die Blutbestrahlung seit mindestens 2002 verboten war (Seppelt 22.9.2012). Der DOSB änderte dann umgehend am 22. September 2012 sein Statement: „Der DOSB erklärt, dass Andreas Franke spätestens seit November 2010 gewusst habe, dass er mit der UV-Methode eine verbotene Methode anwende…” (Purschke 22.9.2012).
Wada-Generaldirektor David Howman erklärte: „Es ist eine verbotene Methode. Sie steht seit Jahren auf der Verbotsliste… Blutdoping war niemals erlaubt” (spiegelonline 27.4.2012).
Erfurter Whitewashing
Am 11.7.2012 gab die Erfurter Staatsanwaltschaft die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Sportmediziner Andreas Franke bekannt: Ein zielgerichteter Einsatz zu Dopingzwecken sei nicht nachweisbar, und außerdem hätten „sämtliche als Zeugen gehörten Sportler eine zielgerichtete Behandlung zur Leistungssteigerung von sich gewiesen” (SZ 12.7.2012). Der Staatsanwalt äußerte allerdings: „Objektiv halten wir es für Doping” (Ebenda).
Das „Deutsche Sportschiedsgericht“
Die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) hat eine Unterabteilung, das Deutsche Sportschiedsgericht. Dieses wurde von der Stiftung Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) und der DIS initiiert und nahm am 1.1.2008 seine Arbeit auf (dosb.de 3.1.2008). Damit möchte sich der nationale Sport – wie auf internationaler Ebene mit dem CAS – eine eigene Gerichtsbarkeit schaffen, um von der „normalen” Rechtssprechung unabhängig zu werden. Das deutsche Sportschiedsgericht ist dabei genausowenig „unabhängig“ wie der Internationale Sportgerichtshof CAS, der vom IOC selbst gegründet wurde.
Dieses Schiedsgericht kam im bislang einzigen Verfahren zu dem Schluss: „Ja, das war Doping, aber nein, die betroffene Eisschnellläuferin ist keine Doperin” (Reinsch 11.7.2012).
Der Anwalt der Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz, Dr. Stephan Wilske, ist bei beiden Institutionen (DIS und DIS-SportSchO) als Schiedsrichter aufgeführt, obwohl er hauptberuflich mit ganz anderem beschäftigt ist: „’Internationaler Großanlagenbau’, ‚Verletzung bilateraler Investitionsschutzabkommen’, ‚Abwicklung von gescheiterten Joint Ventures’, das sind laut Lebenslauf so seine Spezialgebiete. Nicht beschäftigt hatte sich Stephan Wilske bisher mit der Frage, ob es als Dopingverstoß zu werten ist, wenn ein Arzt einem Sportler 50 Milliliter Blut abzapft, dieses mit UV-Licht bestrahlt und es dann in den Körper zurückführt“ (Catuogno 7.11.2012).
Wilske wurde als Einzelrichter ausgewählt, um im Auftrag der Nada über die Causa Erfurt zu entscheiden. Und wie er entschied! Vor 2011 sei Blutdoping nicht verboten gewesen.
Vergleiche unter „Aktuelles“: Der Bundesinnenminister, der DOSB und das Blutdoping; Erfurter Blutdoping und Gleiss Lutz; Das legalisierte UV-Blutdoping
Der Nada–Chefjustitiar Lars Mortsiefer begrüßte sogleich die Entscheidung des „Deutschen Sportschiedsgerichts“, also des Wirtschaftsanwalts Wilske von Gleiss Lutz: „In diesem richtungweisenden Fall haben wir jetzt Klarheit über die Rechtslage vor 2011 und richten daran unser weiteres Vorgehen aus“ (Catuogno 7.11.2012).
Claudio Catuogno schrieb dazu in der SZ: „Man wüsste gerne, auf welcher Basis der Stuttgarter Anwalt zu dem Urteil gelangt ist… Er selbst bedauert, dass er sich nicht dazu äußern kann: Die beiden Parteien – die Nada und ein Radfahrer, der bei Franke in Behandlung war – haben Vertraulichkeit vereinbart.“. Und über Rechtsanwalt Stephan Wilske von der Kanzlei Gleiss Lutz: „Ein Jurist, der eher zufällig mit dieser Frage betraut wird, entscheidet: kein Doping. Affäre beendet?“ (Ebenda).
Die Wada wollte zunächst alle Urteile im Fall Erfurt noch einmal überprüfen und eventuell beim Internationalen Sportgerichtshof Einspruch erheben (spiegelonline 21.9.2012) Seither wurde nichts mehr von der Wada gehört.
Vergleiche auch unter „Aktuelles“: Die Doping-Connection: Deutsche Sportärzte und der DSB/DOSB
Quellen:
Becker, Christoph, Staatsanwalt: Kann Doping sein, in faz.net 11.7.2012
Blutbestrahlung ist nicht strafbar, in SZ 12.7.2012
Burkert, Andreas, „Diese Methode war schon immer verboten”, in SZ 9.2.2012
Catuogno, Claudio, Ein Deckel aus Stuttgart, in SZ 7.11.2012
Hartmann, Grit
– „Es ist eine Menge schiefgelaufen”, in zeitonline 4.6.2012
– „Objektiv halten wir es für Doping”, in berliner-zeitung.de 11.7.2012
Probleme mit dem Kleingedruckten, in SZ 1.2.2012
Purschke, Thomas, Konsequentes Vorgehen? in dradio.de 22.9.2012
Reinsch, Michael
– Howmans Interview „unerträglich”, in faz.net 12.6.2012
– Doping-Fall ohne Schuld und Täter, in faz.net 11.7.2012
Seppelt, Hajo, Ljungqvist: „Die Blutbestrahlung war schon seit 2002 verboten”, in dradio.de 22.9.2012
Sörgel, Fritz, „Wir brauchen eine neue Nada”, in berliner-zeitung.de 5.6.2012
Turbulente Tagung des Sportausschusses, in spiegelonline 21.3.2012
Ukraine bei der EM mit Kortison-Power, in abendzeitung-nuernberg.de 27.6.2012
Wada prüft Urteile des Sportschiedsgericht, in spiegelonline 21.9.2012
Wada rudert in Blut-Affäre zurück, in spiegelonline 27.4.2012
Weinreich, Jens, Erfurter Blutdoping: Blutbestrahlung am Olympiastützpunkt, in spiegelonline 19.3.2012