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Gazprom-Chronik (3): 9 – 10/2014

Was ein Gaskonzern und Sport, Oligarchen und Putin miteinander zu tun haben. Gazprom-Chronik (1) bis 31.12.2012: hier; Gazprom-Chronik (2) 1/2013 – 8/2014: hier; Gazprom-Chronik (3) 9-10/2014: hier; Gazprom-Chronik (4) 11/2014 – 12/2015: hier; Gazprom-Chronik (V): ab 2016 (9.1.2016)

Exkurse: Die Silowiki; Itera und Igor Makarow; Datschenkooperative Osero; Greathill; Die St.-Petersburg-Connection; Medienholding Media-Most; Igor Bakai; Dmytro Firtasch; Eural Trans Gas (ETG); RosUkrEnergo; Russisch-Ukrainischer Gasstreit; Nord Stream und Gerhard Schröder; Matthias Warnig; Gazprom Germania; TNK-BP; Emfesz; Nord Stream; Der Gazprom-Wolkenkratzer; Gazpromi Beckenbauer, Fernsehsender Doschd und GazpromMedia; Arctic Sunrise 
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Aktualisiert am: 14.12.2014

September 2014:

– Rosneft-Chef droht dem Westen. Seit Juli 2004 ist Igor Setschin Chef von Rosneft (mit Unterbrechung von April 2011 bis Mai 2012 auf Intervention das damaligen Präsidenten Medwedew). Gleichzeitig ist er Vize-Ministerpräsident der Regierung der Russischen Konföderation. Er gilt als zweitmächtigster Mann hinter Putin, mit dem er in Dresden beim KGB war. Er steht seit April 2014 auf der Sanktionsliste der USA. Setschin stellte im Spiegel-Interview seine Sicht der Dinge klar (Traufetter, Gerald, Schepp, Matthias, “So wird Hass gesät”, in Der Spiegel 36/1.9.2014): „Weder ich noch mein Unternehmen haben mit der Krise in der Ukraine etwas zu tun“. (Staatsanteil an Rosneft: 69,5 Prozent) – „Deshalb entbehren die Sanktionen gegen mich und Rosneft jeder Grundlage. Sie verletzen das Völkerrecht.“ (Interessant, dass ein hoher russischer Wirtschaftsführer in Zusammenhang mit der Krim-Annektierung und dem unerklärten russischen Krieg gegen die Ukraine von Völkerrecht spricht.) Zur Frage, ob Russland Europa den Gashahn zudreht: „… nur Laien können auf so eine Idee kommen. Rosneft und andere russische Unternehmen werden sich streng an ihre Lieferverträge halten, die mit Krediten und Vertragsstrafen abgesichert sind.“ Zur Enteignung des Yukos-Konzerns und der Inhaftierung seines ehemaligen Chefs Michail Chodorkowski steht im Spiegel: „Juli 2004: Igor Setschin, enger Vertrauter Putins und mutmaßlicher Mitinitiator des Verfahrens gegen den Yukos-Konzern, wird Rosneft-Chef. Dezember 2004: Eine von Rosneft gegründete Briefkastenfirma kauft wesentliche Teile des Yukos-Konzerns weit unter Wert“ (S. 64). Dazu und zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (50 Milliarden Dollar an ehemalige Yukos-Aktionäre) äußerte Setschin: „Es gibt eine große, internationale PR-Kampagne der ehemaligen Yukos-Aktionäre. (…) Yukos hat über Offshore-Firmen seine Aktionäre betrogen. Heute gibt es in Russland größere Transparenz, höhere Steuergerechtigkeit und höhere Rechtssicherheit für Unternehmen“ (Ebenda).
Setschin singt Putins Lied. Wahr ist nichts.

– Gazprom baut Gaspipeline nach China. Russische Energielieferanten orientieren sich nach Osten. „Rosneft hat Ende des vergangenen Jahres einen 270-Milliarden-Dollar-Deal mit China abgeschlossen“ (Traufetter, Schepp 1.9.2014). Am 1.9.2014 begann Gazprom mit dem Bau der 4.000 Kilometer langen Gaspipeline Sila Sibiri (Kraft Sibiriens) nach China – Putin war bei der Eröffnung zugeschaltet. Die Baukosten betragen mehr als 50 Milliarden Euro. „Von 2018 will Russland jährlich 38 Milliarden Kubikmeter Gas nach China pumpen (Russland beginnt mit Bau der China-Pipeline, in spiegelonline 1.9.2014).

– Deutschlands Gasquellen: Norwegen 26,9 %, Niederlande 23,9 %, Russland 35,4 %, Sonstige 5,3 %. „Jede zweite der rund 41 Millionen Wohnungen wird mit Erdgas geheizt“ (Vorholz, Fritz, Gefährdet Russland die Energiewende? In Die Zeit 4.9.2014). Bei Gasknappheit würden zunächst Kraftwerke und Industriebetriebe vom Gasnetz genommen, die mit ihrem Versorger „abschaltbare Verträge“ mit billigerem Gaspreis vereinbart haben. „Erwischte die Krise auch die Haushalte, bliebe auch ihnen keine andere Wahl: Entweder müssten sie andere Energien nutzen – oder sparen. Ein Grad weniger Raumtemperatur senkt den Energieverbrauch im Durchschnitt um sechs Prozent“ (Ebenda). – „Der Bau eines eigenen deutschen Terminals zur Anlandung von Flüssiggas (LNG) wäre binnen weniger Wochen nicht nur unmöglich; die Versorgungssicherheit würde dadurch nicht einmal merklich verbessert“ (Ebenda). Die entsprechende technische Infrastruktur im Hafen von Wilhelmshaven wurde von Gazprom im Vorfeld verhindert.

– Gazprom-Manager vor Gericht. In der Schweiz tauchen die Namen der Konzerne ABB, Alstom, Siemens und Gazprom bei der Schweizer Bundesstaatsanwaltschaft auf. „Über Jahre sollen zwei russischstämmige Beschuldigte für die drei Industriekonzerne ein Schmiergeld-System betrieben haben und auf diesem Wege zwei Gazprom-Managern mehrere Millionen Dollar zukommen haben lassen“ (Giesen, Christoph, Knellwolf, Thomas, Umstrittene Pipeline-Deals, in SZ 1.9.2014). Siemens Industrial Turbomachinery (SIT) hat Gasturbinen für die Gaspipeline von der sibirischen Halbinsel Yamal über Weißrussland und Polen nach Deutschland geliefert; der Auftraggeber war Gazprom. „Zwischen 2004 und 2006 sollen SIT-Manager Bestechungsgelder an Mitarbeiter des russischen Unternehmens überwiesen haben. (…). Als Wiedergutmachung spendete Siemens 125.000 Franken an das Rote Kreuz. Zudem zahlte der Konzern 10,6 Millionen Dollar an die Schweizerische Nationalbank“ (Ebenda).

– Sanktionen gegen Gazprom. Die neue Sanktionsliste der EU greift ab 8.9.2014 und enthält weitere Wirtschaftssanktionen, zusätzliche Reiseverbote und Kontensperrungen. „Betroffen sind neben etwa 20 Personen auch die russische Gazprom-Bank und der Ölkonzern Gazprom Neft“ (Schärfere Sanktionen treffen Gazprom, in spiegelonline 5.9.2014). – „Die neuen Regeln besagen nun, dass russische Banken, unter ihnen die Sberbank, die VTB Bank oder die Bank of Moscow, sowie die Unternehmen Rosneft, Gazprom und Transneft im Westen kein Kapital mehr aufnehmen dürfen“ (Schulz, Bettina, Russen auf dem Trockenen, in Die Zeit 16.10.2015).

– Moskau droht mit reduzierter Gaslieferung. Russland hat im Juni 2014 seine Gaslieferungen an die Ukraine eingestellt. Falls die EU russisches Gas an die Ukraine weiterleiten würde, drohte Moskau Anfang September 2014 mit der Drosselung seiner Gaslieferungen an Europa. „Gazprom-Chef Alexeij Miller hatte Reexporte einen ‚halb betrügerischen Mechanismus‘ genannt“ (Moskau droht Europa mit reduzierter Gaslieferung, in spiegelonline 9.9.2014). Anders sieht es wohl mit der Vojani-Pipeline aus, die von der Slowakei in die Ukraine führt und gerade die Versorgung aufgenommen hat: „Die Slowakei liefert der Ukraine Gas zum Preis von rund 360 Dollar pro Tausend Kubikmeter. Die Kapazität soll zunächst bei rund 6,.4 Milliarden Kubikmeter pro Jahr liegen. Das entspricht aber nur gut zehn Prozent des Gasverbrauchs der Ukraine“ (Ebenda).

– Worst-Case-Szenarien. Der EU-Energiekommissar Günther Oettinger warnte Anfang September 2014: „Ich schließe Worst-Case-Szenarien für den Energiesektor nicht mehr aus“ (Pauly, Christoph, Traufetter, Gerald, Sibirischer Winter, in Der Spiegel 37/8.9.2014). Die Gasspeicher in der EU und in Deutschland (hier 19,7 Mrd. Kubikmeter) sind zu etwa 90 Prozent gefüllt. Aber eine Leerung ist laut Energiewirtschaftlichem Institut der Universität Köln (EWI) kompliziert: „Denn ist der Druck im gesamten Leitungssystem erst einmal sehr niedrig, dann sei es schwierig, das gespeicherte Gas abzutransportieren. Versorgungsprobleme können sich verstärken“ (Ebenda). Polen traut dem Gas-Frieden nicht und lässt in Swinemünde an der Ostsee eine Flüssiggasanlage für LNG-Tanker bauen (Ebenda).

– RWE-Gas für die Ukraine. Westliche Lieferanten wie das RWE „pumpen Gas in Richtung Osten, das sie unter anderem dem russischen Gasriesen Gazprom vorher abgekauft haben. Die Ukraine verfügt mit 32 Milliarden Kubikmetern nach den USA und Russland über die größten Gasspeicher der Welt“ (Ebenda).

– Tatsächlich weniger Gas. Eon meldete rückläufige Lieferungen – wenn auch geringfügig. Der polnische Gasversorger PGNiG meldete am 8.9.2014 20 bis 24 Prozent geringere Lieferungen. „Polen gehört derzeit zu den lautesten Kritikern des russischen Kurses im Ukraine-Konflikt“ (Deutschland und Polen erhalten weniger Gas aus Russland, in spiegelonline 10.9.2014). Polen meldete später 45 Prozent weniger Gas, die österreichische OMV 10 bis 15 Prozent, Eon 10 Prozent. „Europa müsse sich auf ein Worst-Case-Szenario vorbereiten – einen Lieferstopp aus Russland, warnt Noch-Energiekommissar Günther Oettinger. (…) Die deutschen Gasspeicher sind derzeit zu 90 Prozent gefüllt. Einen kompletten Lieferstopp Russlands könnte Deutschland damit mehrere Monate überbrücken“ (Balser, Markus, Bedrohlicher Druckabfall, in SZ 13.9.2014). „Vor allem in den baltischen Ländern, die zu 100 Prozent von den Lieferungen aus Moskau abhängen, wächst deshalb die Sorge vor einem Engpass“ (Balser, Markus, Weniger Gas aus Russland, in SZ 11.9.2014). – „Das ist eine klare Warnung Moskaus an die EU, bei den Sanktionen keinen Schritt weiterzugehen“ (Angst vor Gas-Boykott, in SZ 13.9.2014).

– Gazprom-Gewinn bricht ein. Der Umsatz stieg im ersten Quartal 2014 um sieben Prozent auf 32,3 Milliarden Euro, der Gewinn ging um 41 Prozent auf 4,6 Milliarden Euro zurück. „Als einen Grund nannte Gazprom Preissenkungen für Gaslieferungen an die Ukraine“ (Gewinn von Gazprom bricht ein, in spiegelonline 11.9.2014 – dies scheint vorgeschoben zu sein). Außerdem schwächelte der Rubel-Kurs.

– Abschaltung des Internets. „Russland plant offenbar eine strengere Zensur oder gar eine zeitweise Abschaltung des Internets innerhalb der Landesgrenzen, um in Krisensituationen die öffentliche Meinung besser kontrollieren zu können. Bei militärischen Auseinandersetzungen oder Großdemonstrationen sollen soziale Netzwerke oder Nachrichtenportale künftig abgeschaltet werden können, wie die Wirtschaftszeitung Wedomosti berichtete. (…) Im Wedomosti -Bericht heißt es unter Berufung auf eingeweihte Kreise, die russischen Behörden wollten den russischen Teil des Internets vollständig kontrollieren und von Anfang kommenden Jahres an sogar abschalten können, falls unliebsame Kritik aus dem Netz dies nötig mache. Da die Massenmedien des Landes seit langem unter der direkten oder indirekten Kontrolle des Kremls stehen, gilt das Netz als letzter Ort, an dem freie Meinungsäußerung ungehindert möglich ist“ (AFP, Zensiert, in SZ 20.9.2014).

– Abschottung ausländischer Medien. Die Staatsduma beschloss, den Anteil ausländischer Investoren an russischen Medien, der bisher auf bis zu 50 Prozent zugelassen war, auf 20 Prozent zu beschränken. Die Kreml-nahen Medien sind in der National Media Group (NMG) zusammengefasst und werden künftig von Alina Kabajewa geführt: Der ehemaligen Sportgymnastin wird eine engere Liaison mit Putin nachgesagt. „Zur NMG gehören Fernsehsender, Radiostationen und mehrere Zeitungen, darunter die Iswestija. (…) Die EDU warf NMG im Juli vor, Sender zu kontrollieren, die ‚die russische Regierungspolitik der Destabilisierung der Ukraine aktiv unterstützen'“ (Hans, Julian, Russische Prozente, in SZ 22.9.2014).

– EU und Ukraine-Gas. Die EU will rund drei Milliarden Dollar bis Jahresende an Gazprom bezahlen: „Im Gegenzug liefert Russland für diese Vorkasse fünf Milliarden Kubikmeter Gas an die Ukraine. (…) Die russische Seite hatte den Gaspreis im März angehoben von 268 Dollar je 1000 Kubikmeter auf 485 Dollar. Die Ukraine allerdings will nur 300 Dollar zahlen“ (Balser, M., Bauchmiller, M., EU will Gaslieferung aus Russland sichern, in SZ 27.9.2014. Die Anhebung von 268 auf 485 Dollar rechtfertigte Russland mit dem Wegfall des Preisnachlasses für die Nutzung der Häfen auf der Krim für die russische Flotte – diese hat Russland bekanntlich annektiert).

– Dea-Verkauf verzögert. Der Verkauf von RWE Dea an die Firma Letter One des Putin-Freundes und Oligarchen Michail Friedman wird durch britische Behörden verzögert, da Dea einige Gasquellen vor der britischen Küste ausbeutet. „Dort ist das Unternehmen auf zehn Gasfeldern aktiv, drei weitere werden gerade erschlossen. (…) Die britische Tochter von RWE Dea hält 38 Lizenzen zur Förderung von Vorkommen in der britischen Nordsee“ (Dohmen, Frank, Hawranek, Dietmar, Jung, Alexander, Hübsch auf der Kippe, in Der Spiegel 40/29.9.2014). Friedman hat in Großbritannien keinen guten Ruf: Anfang 2000 gründeten er und der damalige BP-Chef Lord Browne das Unternehmen TNK-BP, das Öl und Gas in Sibirien fördern sollte. 2008 wurde der BP-Vertreter in Moskau gezwungen, Russland zu verlassen. 2012 wurde TNK-BP für je 28 Milliarden Dollar an Rosneft verkauft (Ebenda). – „RWE Dea erkundet und beutet weltweit Öl- und Gasvorkommen aus und hält Anteile an rund 190 Öl- und Gaslizenzen in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika. Diese würden im Fall eines Verkaufs unter russische Kontrolle gelangen, was in Europa Sorge auslöst. Dea ist vor allem in der deutschen Nordsee aktiv. (…) Für den hoch verschuldeten Versorger RWE ist die fünf Milliarden Euro schwere Transaktion von großer Bedeutung“ (Balser, Markus, Mahnung aus London, in SZ 29.9.2014). Vgl. auch Oktober 2014

– „Null-Risiko-Strategie“. Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) schrieb an Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und forderte eine nationale Erdgasreserve und volle Erdgasspeicher: „Wir dürfen über die Abhängigkeit von Erdgas nicht erpressbar sein“ (Nationale Erdgasreserve, in SZ 29.9.2014).

– „Russland-Tag“. Festzustellen ist im Herbst 2014, dass es eine ganze Reihe von Wirtschaftstreffen gibt, die lobbymäßig der Putin-Seite dienen. Dazu gehört der „Russland-Tag“ am 30.9.2014 in Rostock, wo Gazprom einer der Geldgeber ist und auf dem sich Wirtschaftsführer aus Deutschland und Russland treffen. Dessen Cheforganisator Andreas Steininger vom Ostinstitut in Wismar kritisierte die Ukraine-Politk des Westens. Zu Gazprom als Sponsor sagte Steininger: „Das Forum würde genauso ohne einen Beitrag von Gazprom stattfinden. Aber ich wehre mich, dass alles verteufelt wird, was von Gazprom kommt“ (Bidder, Benjamin, „Ich wehre mich dagegen, dass Gazprom verteufelt wird“, in spiegelonline 25.9.2014). Zur Ukraine sagte Steininger abwiegelnd, der Westen „hätte  erkennen müssen, dass die Ukraine ein in sich gespaltener Staat ist, mit einem stark russisch geprägten Osten“ (Ebenda).
Und deshalb sandte Putin tausende von Soldaten auf Urlaub mit ihren Freizeitpanzern in die Ostukraine!
Auf dem „Russland-Tag“ sprach auch Putins fürstlich bezahlter Aufsichtsratsvorsitzender von Gazproms Nord Stream AG, Gerhard Schröder. Der ehemalige Bundeskanzler Schröder Er warnte vor neuen Russland-Sanktionen in der Ukraine-Krise und warb für Energiepartnerschaft“: „Wir sind gut beraten, diese Energie- und Rohstoffpartnerschaft weiter auszubauen“ (Schröder wirbt für Vertrauen zu Russland, in spiegelonline 1.10.2014).
„Krise“ ist euphemistisch: Dort spielt sich ein von Putin mutwillig hervorgerufener Krieg ab, der zu den Putinschen „eingefrorenen Konflikten“ führen soll.
Gero von Randow schreibt darüber in der Zeit: „Wer nach Beispielen für eingefrorene Konflikte sucht, wird vor allem im ehemaligen Machtbereich der Sowjetunion fündig. Die Streitgegenstände heißen beispielsweise Südossetien und Abchasien, die beide rechtlich zu Georgien zählen, deren Unabhängigkeit aber von Russland anerkannt wird; weitere Beispiele sind Berg-Karabach und Transnistrien. Wladimir Putin hat dieser Aufzählung die Krim hinzugefügt. Die Ostukraine, in der er eine Art Stellvertreter-Bürgerkrieg führt, könnte bald folgen – und wer weiß, wer noch so alles. Womöglich hat er die baltischen Staaten im Blick, Moldau oder Serbien“ (Randow, Gero von, Moskau sammelt eingefrorene Konflikte, in Die Zeit 27.8.2014).  
Schröder sagte u. a.: „Ich stehe dazu, dass ich Russland , seine Menschen und seine politische Führung verstehen will. Ich schäme mich nicht dafür, im Gegenteil: Ich bin stolz darauf“ („Russland-Versteher“ Schröder, in SZ 2.10.2014; Schröder wirbt für Vertrauen zu Russland, in spiegelonline 1.10.2014).
So taucht man vor der Kritik unter. Oder nur Loyalität mit dem Arbeitgeber?

Oktober 2014:

– Warnung vor Gazprom. Der scheidende EU-Energiekommissar Günther Oettinger warnte vor der Übernahme der deutschen Gasspeicher von der BASF-Tochter Wintershall durch Gazprom: „Gazprom habe begonnen, mit Gas als Druckmittel zu spielen“ (Oettinger warnt vor Gazprom, in SZ 1.10.2014).

– Größter Erdgasspeicher Westeuropas geht an Gazprom. „Der größte Erdgasspeicher Westeuropas im niedersächsischen Rehden soll wie geplant im Herbst ins Eigentum des russischen Energiekonzerns Gazprom übergehen. Das bestätigte am Dienstag die BASF-Energietochter Wintershall in Kassel. Der von der Wintershall-Tochter Astora betriebene Speicher ist Teil einer umfassenderen Vereinbarung zwischen der BASF und Gazprom über den Tausch diverser Anlagewerte von 2013. Im Tausch für mehrere Beteiligungen an westeuropäischen Handels- und Speichergesellschaften erhält Wingas Zugang zu Erdgasvorkommen in Westsibirien, die ab 2016 ausgebeutet werden sollen“ (dpa, Gazprom bekommt Speicher, in SZ 8.10.2014).

– South Stream und Bulgarien. Der frühere bulgarische Ministerpräsident Boiko Borrisow (im Herbst 2014 wiedergewählt): „Fest steht, dass sich der Preis für South Stream schon vor dem Bau vervierfacht hat und wir immer noch nicht alle Kosten kennen. Die Vergabe war intransparent. Wir wissen weder, ob es genug Gas für die Pipeline gibt, noch, wie viel Steuern Bulgarien bekommen soll. Außerdem widersprechen die Verträge Brüssel zufolge EU-Recht“ Hassel, Florian, „Bulgarien zahlt einen hohen Preis“,. in SZ 6.10.2014).

– OMV im Richtungsstreit. Der Chef des größten mitteleuropäischen Ölkonzerns OMV, Gerhard Roiss, lieferte im August 2014 ein sehr Putin-freundliches Interview in der SZ ab. Daraus ein Zitat zur Pipeline South Stream: “Jede Pipeline mehr ist gut für Europa, weil das die Versorgungssicherheit erhöht. Zumal Europa in Zukunft mehr Gas brauchen wird, wenn es seine Klimaschutzziele erreichen will. Warum gerade South Stream Teil der Sanktionen gegen Russland werden soll, ist für mich unverständlich. (…) Ich gehe davon aus, dass South Stream zügig in Betrieb gehen wird, wenn es sein muss auch ohne EU-Genehmigung“ (Balser, Markus, Liebrich, Silvia, “Mit Energie darf keiner spielen”, in SZ 11.8.2014). Nun könnte es sein, dass ihn dieses Eintreten für South Stream seinen Posten kostet. „Roiss war es, der zuletzt dafür gesorgt hatte, dass sich OMV an South Stream beteiligt. Der im Frühsommer angekündigte Deal stößt bei der EU-Regierung auf Widerspruch, unter anderem, weil man dort die Sanktionsmaßnahmen gegen Russland verletzt sieht“ (Liebrich, Silvia, Streit in OMV-Spitze, in SZ 11.10.2014).

– Gas-Krieg Ukraine. „Nachdem bei heftigen Kämpfen der Flughafen Donezk weitgehend zerstört wurde, hat Kiew nun offenbar einem Landtausch zugestimmt, bei dem den Aufständischen die Kontrolle über den Flughafen eingeräumt wird – im Gegenzug für Frontbegradigungen an anderen Orten, unter anderem in Luhansk.
Im Kern der Verhandlungen stehen Vereinbarungen über Gaslieferungen in die Ukraine und – für die russische Seite – natürlich die Aufhebung der Sanktionen. Bei den Gasgesprächen ist der Westen nach Informationen aus Verhandlungskreisen inzwischen von seiner Position abgerückt und besteht nicht mehr auf einem Liefervertrag von anderthalbjähriger Laufzeit. Vielmehr ist nun die Rede davon, eine verlässliche Vereinbarung für diesen Winter zu erhalten. Preisabsprachen und Zahlungsmodalitäten sollen bis zu den ukrainischen Parlamentswahlen in zwei Wochen geregelt sein. EU-Energiekommissar und Vermittler Günther Oettinger hat die nächste Verhandlungsrunde zwischen der Ukraine und Russland auf den 21. Oktober terminiert. Bereits vorher hatte der russische Gaslieferant einen neuen Ratendeal für die Rückzahlung der ukrainischen Schulden vorgeschlagen“ (Kahlweit, Cathrin, Kornelius, Stefan, Maß nehmen für Mailand, in SZ 15.10.2014; Hervorhebung WZ).

– Folgen eines russischen Gas-Boykotts. Ein internes Regierungspapier aus dem Wirtschaftsministerium analysierte Mitte Oktober 2014 die Folgen eines russischen Gas-Boykotts. „Wenn Russland von September bis Februar den Gashahn zudreht, würde Deutschland fast die Hälfte des normalerweise in den sechs Herbst- und Wintermonate verbrauchten Gases fehlen, heißt es in der Risikoanalyse der Regierung“ (Diekmann, Florian, Schultz, Stefan, Russscher Gasboykott träfe Deutschland hart, in spiegelonline 17.10.2014). Durch Flüssiggas (LNG) könnten maximal zwei Mrd. Kubikmeter zusätzlich importiert werden. Maximal 0,75 Mrd. Kubikmeter könnten aus Norwegen bezogen werden. Die Bundesregierung müsste nach kurzer Zeit den Energienotfall ausrufen. „Folgende vier Gruppen würden in absteigender Reihenfolge bedient: 1. geschützte Kunden, also Haushaltskunde und Fernwärme-Kraftwerke; 2. Gaskraftwerke, die für die Energieversorgung unverzichtbar sind; 3. die Industrie; 4. übrige Gaskraftwerke. Allein die Gruppe der geschützten Kunden – also hauptsächlich Privathaushalte – verbraucht rund 26 Milliarden Kubikmeter Gas. Die für die Versorgung unverzichtbaren Gaskraftwerke benötigen noch einmal 2,4 Milliarden Kubikmeter. Rein rechnerisch wäre bei einem russischen Lieferboykott das noch verfügbare Gas damit schon komplett aufgebraucht“ (Ebenda). Die Versorgung der Privathaushalte wäre in jedem Fall schwer abzusichern, da es technisch schwierig ist, geschützte Kunden von nicht geschützten Kunden zu trennen. (Vgl. auch: Werner, Kathrin, Gas von der Ostküste, in SZ 10.10.2014)

– Winterversorgung der Ukraine gesichert. Putin teilte nach Gesprächen mit Poroschenko mit, für die Winterzeit seien die russischen Gaslieferungen gesichert. Beim Europa-Asien-Gipfel warnte Putin vor dem erneuten Gasdiebstahl der Ukraine: „Ausführlich legt er, sogar mithilfe von Stift und Papier, Merkel die Gefahren für die Gasversorgung Europas im Winter dar, warnt davor, dass die Ukraine Transitgas abzapfen werde. Man werde (…) „wie 2009 die Gaslieferungen konsequent um die jeweils gestohlene Menge kürzen. (…) Wir werden nichts mehr auf Pump liefern“ (Brössler, Daniel, Zwei Welten, keine Einsicht, in SZ 18.10.2014).“ – „Er rief die EU-Kommission auf, die Ukraine finanziell zu unterstützen, damit das fast bankrotte Land seine Gasrechnungen bei Russland begleichen könne“ (Putin und Poroschenko melden Fortschritte im Gasstreit, in spiegelonline 17.10.2014).
Schon interessant: Was ist in diesem Fall mit den Sanktionen gegen Russland? Und wo bleibt Putins Anspruch, die Ukraine gehöre in sein „Eurasien“? Wieder zeigt sich Es geht nur um Geld.
Kiew bezahlte bisher 485 Dollar für 1000 Kubikmeter: Russland akzeptierte den ukrainischen Vorschlag von 385 Dollar (305 Euro). Laut Putin hat die Ukraine 4,5 Milliarden Dollar (3,5 Milliarden Euro) Altschulden (Reuters, AFP, dpa: Annäherung im Gasstreit, in SZ 20.10.2014). – „Die Ukraine will Russland nur rund 3,1 Milliarden Dollar zahlen, in zwei Tranchen im Oktober und Dezember. (…) Sollen also etwa EU-Mitgliedsstaaten der Ukraine beispringen? Die Union hat der Ukraine bisher Hilfen von mehr als elf Milliarden Euro zugesagt“ (Schmitz, Gregor, Peter, Gasstreit geht in neue Runde, in spiegelonline 21.10.2014).

– Dea-Verkauf vor dem Scheitern. „Die britische Regierung blockiere das Geschäft mit einer Investorengruppe um den russischen Oligarchen Michail Fridman, schreibt die ‚Financial Times‘ unter Berufung auf mit den Verhandlungen vertraute Personen. Energieminister Ed Davey sei angesichts der verschärften Sanktionen gegen Russland ’nicht geneigt‘, dem Verkauf zuzustimmen. RWE und die Investorengruppe erklärten in der Zeitung, dass der Verkaufsprozess weiter laufe. (…) Dea galt jahrelang als Ertragsperle im RWE-Konzern“ (Briten verweigern Plazet für Dea-Verkauf, in spiegelonline 16.10.2014).

– Flüssiggas für Litauen. Die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sind zu 100 Prozent abhängig vom Gazprom-Gas. In der litauischen Küstenstadt Klaipeda traf am 27.10.2014 die schwimmende Gas-Umladestation Independence aus Südkorea ein. „An dem Schiff sollen künftig Tanker anlegen, die das Flüssiggas aus aller Welt anliefern können, etwa aus Katar oder Algerien. (…) Im Hafen von Klaipeda wird das Flüssiggas zum weiteren Transport auf kleinere Schiffe umgepumpt oder wieder in normales Gas umgewandelt und in die regionalen Energienetze eingespeist. Auf Wunsch wollen sich auch die Nachbarn Estland und Lettland anschließen können“ (Brill, Klaus, Freiheit an Bord, in SZ 28.10.2014). Die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaitė sagte bei dem Festakt bezeichnenderweise, das Flüssiggas-Terminal sei ein geopolitisches Projekt: „Von jetzt an wird niemand in der Lage sein, uns den Gaspreis zu diktieren, uns den politischen Willen abzukaufen oder unsere Politiker zu bestechen“ (Ebenda). – „In Erwartung dieser Entwicklung hatte Litauen in Verhandlungen mit Gazprom schon vor Monaten einen Rabatt auf Gas von 20 Prozent durchgesetzt… Der russische Energiekonzern setzte den Preis von rund 396 Euro pro tausend Kubikmeter, einem der höchsten in Europa, auf 292 Euro herab“ (Ebenda). Resumée im Februar 2015: „Im vergangenen Jahr ist im litauischen Klaipeda, dem früheren Memel, das erste Flüssiggasterminal in Betrieb gegangen, das die Länder unabhängig von Gazprom macht. Litauen kann nun täglich vier Millionen Kubikmeter Gas importieren. Dies deckt drei Viertel des Bedarfs der drei baltischen Staaten ab“ (Czarnecki, Maciej, Der Kampf um die baltischen Seelen, in SZ 5.2.2015).

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Die unendliche Gazprom-Geschichte: Und so weiter. Und so weiter…

Fazit:
– Die russischen Erdgas- und Erdöl-Vorräte werden geplündert.
– Eine kleine Funktionärs-, Manager- und Politiker-Clique bereichert sich an den fossilen Energien des Landes, während die Bevölkerung verarmt. Der Kreml mit Präsident Wladimir Putin hat seit 2000 diese Ausplünderung systematisch organisiert.
– Nutznießer sind Günstlinge des Putin-Systems.
– Putins Partei „Einiges Russland“ wurde vom Blogger Alexej Nawalny zurecht „Partei der Gauner und Diebe“ genannt.
– Die Gazprom-Rechnung – und damit die Milliarden für die Putin-Günstlinge – bezahlen die Gaskunden Europas.
– Die wertvollen, weil nicht erneuerbaren fossilen Energien werden lediglich als verkäufliche Ware angesehen, mit der sich jede Menge Geld verdienen lässt. So soll nach EU-Energiekommissar Oettinger Energie „kein Instrument der Politik mehr sein, sondern eine schlichte Ware“ (Schmitz 28.5.2014).
– Energie darf nicht mehr nur eine Ware sein wie alles andere: Es muss sich ein verantwortungsvoller und sparsamer Umgang mit ihr entwickeln. Eine zukunftsfähige Energiepolitik muss dagegen sinnvolle und ökologische globale Alternativen bieten.
– Nicht zuletzt lässt der sinnlose Raubbau und Ausverkauf  den CO2-Wert in der Atmosphäre ansteigen. Wie
schon eingangs erwähnt, war im April 2014 erstmals dauerhaft der CO2-Wert in der Atmosphäre über der Marke von 400 ppm gestiegen (spiegelonline 26.5.2014; zur Keeling-Kurve hier).
– Auf einen weiteren Aspekt verweist Jürgen Roth: „Vom Ausland oder aus Europa haben die aktiven russischen Menschenrechtler seit Jahren kaum oder überhaupt keine Unterstützung erhalten, damit die höchst profitablen Öl- und Gasgeschäfte nicht behindert werden“ (Roth S. 290).
– Ungezählte Milliarden wurden und werden für Korruption eingesetzt. Die Endkonsumenten bezahlen die Rechnung.
Warum hat die Bundesregierung der Übernahme der Gas-Infrastruktur bis zum Endverbraucher und der Gasspeicher in Deutschland durch Gazprom nichts entgegengesetzt, sondern alles genehmigt?
– Warum verhält sich die gesamte deutsche Industrie, als ob sie schon von Putin-Russland übernommen worden sei? Und warum setzt Deutschland nicht auf Senkung des Energieverbrauchs, sondern fördert Energieverschwendung?

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Was ein Gaskonzern und Sport, Oligarchen und Putin miteinander zu tun haben. Gazprom-Chronik (1):  bis 31.12.2012: hier; Gazprom-Chronik (2) 1/2013 – 8/2014: hier; Gasprom-Chronik (3): ab 9/2014: hier.

Vergleiche auch: Gazprom; Oligarchen-Sport; Putin, Wladimir; Putin – Krieg und Spiele; Putin-Russland; Sotschi 2014/I; Sotschi 2014/II; Sotschi 2014/III; Sotschi 2014/IV