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Gendoping

Intro
„Als der US-Physiologe Lee Sweeney von der University of Pennsylvania Ende der Neunzigerjahre Mäusen ein Gen für den Wachstumsfaktor IGF1 einpflanzte und sich deren Muskelmasse daraufhin beträchtlich vergrößerte, erhielt er im Anschluss so manch merkwürdigen Anruf. Einer kam von einem Footballtrainer, der Sweeney bat, seine gesamte Jugendmannschaft auf diese Weise zu dopen. Natürlich lehnte Sweeney dieses Ansinnen ab. (…) Bereits Ende der Neunzigerjahre statteten Wissenschaftler Affen mit künstlichen Epo-Genen aus, um die Produktion des blutbildenden Hormons Erythropoietin (Epo) und damit die Sauerstoffversorgung der Muskeln anzukurbeln. Tatsächlich verdoppelte sich die Zahl der roten Blutkörperchen der Tiere innerhalb von zehn Wochen. Ihr Blut musste verdünnt werden, weil die Affen ansonsten einen Herzinfarkt erlitten hätten“ (Brodmerkel 12.1.2015).

Definition
Nach einer Definition der Welt-Antidoping-Agentur (WADA) ist Gendoping der „nicht-therapeutische Gebrauch von Zellen, Genen, genetischen Elementen oder die Beeinflussung der Genexpression mit der Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit zu steigern“. Die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) geht davon aus, dass gentherapeutische Verfahren im Sport eingesetzt werden, sobald sie verfügbar sind. Bislang wird Gendoping ausschließlich in Tierexperimenten demonstriert (faz.net 25.7.2012). Allerdings tauchten beim Prozess gegen den Leichtathletiktrainer Thomas Springstein bereits im Jahr 2006 Emails auf, in denen dieser nach dem Mittel Repoxygen fragte (Ballwieser 9.8.2012).
Die Deutsche Sporthochschule Köln definiert Gen-Doping wie folgt: „1. die Manipulation von Erbinformationen in den Zellen, um zum Beispiel die Epo-Produktion im Körper und so die Ausdauer zu verbessern, 2. die künstliche Einflussnahme auf die Aktivitäten von Genen. Substanzen wie GW 1516 und AICAR, die Letzteres bewirken, sind im Urin nachweisbar. Für Fremd-DNA und SiRNA stehen Tests kurz vor Abschluss der Entwicklung“ (SZ 26.8.2011).
Beim direkten Gendoping werden Gene mittels Gentransfer z.B. mit Retroviren in den Athleten-Körper eingebracht, so dass der Körper selbst das Doping produziert: Damit schafft man „Gentech-Athleten“ oder sogenannte „Sport-Mutanten“. Ob es bereits Fälle von Gendoping gibt, ist offiziell nicht bekannt. Die Nachweismethoden sind schwierig bis nicht vorhanden. Es handelt sich um eine Methode, die bisher nur bei klinischen Gentherapie-Versuchen mit Patienten durchgeführt wurde: mit dramatischen Nebenwirkungen wie schwersten Folge-Erkrankungen und Todesfällen.

Verschiedene Methoden
In der wissenschaftlichen Forschung weiß man viel zu wenig über Gen-Regulationen im Körper – das Wissen über die Wirkung von Genmanipulationen im Körper ist völlig unzureichend und weitgehend unverstanden.
Trotzdem will man offenbar die sportliche Leistungsfähigkeit durch den gentechnisch-induzierten Aufbau von Muskelkraft steigern, die Sauerstoffversorgung des Körpers erhöhen oder  die Energiebereitstellung verbessern.
Für die „genetischen Mutanten zur Überwindung der menschlichen Grenzen“ (Beat Glogger in seinem Film „Gendoping“) stehen so genannte „Sportler-Gene“ im Fokus. Erkenntnisse über deren Wirkungsweisen gibt es bisher vor allem aus Tierversuchen:

Das Myostatin-Gen reguliert über die Synthese der körpereigenen „Gen-Produkte“ (bestimmter Proteine, Hormone) das Muskelwachstum. Bei Mäusen wurde dieses Gen ausgeschaltet („Knock-out-Mäuse); dies hatte ein abnormes Muskelwachstum zur Folge. Will man dies als „Gen-Doping“ auch bald auf bestimmte Muskelgruppen von Sportlern übertragen bzw. auf den Wechsel von langsamen zu schnellen Muskelfasertypen ?

Das IGF-I-Gen (Insulin-like Growth Factor-I) ist für die Aufrechterhaltung und Regeneration peripherer Nerven und der Skelettmuskulatur wichtig. IGF-1 konnte in Mäuseversuchen Muskelzellen aufbauen – sie gingen als so genannte  „Schwarzenegger-Mäuse“ durch die Presse. Auch diese Versuche hatten rein medizinisch-gentherapeutische Zwecke – und sind nicht für gesunde Menschen und „Gendoping“ durchgeführt worden. IGF-I hat sehr wahrscheinlich ein dramatisches Nebenwirkungspotenzial. Es wird u.a. eine krebsauslösende Wirkung durch hohe IGF-Konzentrationen vermutet.

Das Epo-Gen induziert im Körper Epo-Hormone, die die Blutbildung anregen. So genannte „Epo- oder Marathon-Mäuse“ können kurzzeitig viel Leistung erbringen. Sie haben eine stark erhöhte Sterblichkeit. Ihr Blut wurde dickflüssig wie Honig.

Ein gentechnischer Eingriff zur sportlichen Leistungssteigerung ist auch mit der Einführung ganzer Chromosomen (Isolierung von Kandidatengenen, Einbau als Genkassetten) denkbar. Eine weitere Methode ist die sogenannte „RNA-Interferenz“. Kleinste genetische Bausteine – RNA-Moleküle – könn(t)en zur Gen-Abschaltung – z.B. des Myostatin-Gens – per Spritze oder orale Einnahme in den Körper eingebracht werden. Nur diese „Interferenz“ wäre zeitlich begrenzt, bis die Moleküle abgebaut sind. Diese Methode ist besonders schwer nachweisbar. Die genetisch aktiven Moleküle wären – oder sind bereits – sogar im freien Handel beziehbar.

Auswirkungen
Gendoping beeinflusst die Ausdauer, die Schmerztoleranz und die Willensstärke von Sportlern (Spiller 22.2.2012). Im Gegensatz zu den herkömmlichen hormonellen und anderen Dopingmitteln sind die Auswirkungen des harten Gendoping nicht rückholbar, nicht absetzbar, nicht therapierbar.
Einmal in den Körper eingebracht, entfalten die Gene ihre Wirkungen, von denen nur ein Bruchteil bekannt ist. Keineswegs geht es hier nur um die „erwünschten Dopingeffekte“ im Körper, denn die Theorie „ein Gen = ein Produkt“ ist schon lange überholt. Die Gen-Wirkungen und die Wechselwirkungen mit der natürlichen Gen-Regulationen lassen sich oft nicht vorhersagen. Bekannt ist aber, dass die Veränderung eines einzelnen Gens die Aktivität vieler hundert anderer Gene verändern kann.

Die Risiken des Gendopings sind laut Protokoll des Bundestags-Sportausschusses kaum abschätzbar.
Im Jahr 2003 urteilten Müller-Platz und Wolfarth über Gendoping als eine „Dopingmethode, deren Anwendung in wenigen Jahren möglich sein kann“. Die World Anti-Doping Agency bezeichnete das Gendoping als „Doping des 21. Jahrhunderts“ und hat es schon vor längerem präventiv verboten. Allerdings ohne größere auswirkungewn: „… nach wie vor sind die von der Wada akkreditierten Analyselabors noch nicht verpflichtet, spezielle Gendopingtests vorzunehmen“ (faz.net 25.7.2012).
Der Mainzer Molekularbiologe Perikles Simon bezeichnete einen nicht unerheblicher Nebeneffekt: „Doping wird irgendwann de facto ansteckend“ (Spiller 22.2.2012). Etwa 100 Milliarden bis 100 Trilliarden Viren müssen gespritzt und als Genfähren benutzt werden. Sie dürfen nicht mehr vermehrungsfähig sein: Diese Überwachung ist schwierig. Und wenn sich die Genfähre mit den Erbinformationen auf Unbeteiligte überträgt, „kann sie die selben Gendoping-Nebenwirkungen wie bei gedopten Menschen auslösen“ (Ebenda). Es werden also nicht nur Sportler gefährdet, sondern auch Unbeteiligte. Beabsichtigter oder unbeabsichtigter Nebeneffekt: „Niemand könnte mehr auseinander halten, wer gedopt und wer sich nur angesteckt hat“ (Ebenda).

Das Konkurrenzdenken der Sportler wird auch hier Hemmschwellen einreißen: „Sorgen bereitet Medizinern, dass Leistungssportler offenbar nur wenig Sicherheitsbedenken haben, wie regelmäßig wiederholte Befragungen von Athleten zeigen. Der US-Arzt Bob Goldman fragte die Sportler, ob sie eine Droge, die ihnen einen sportlichen Erfolg sichert, auch dann nehmen würden, wenn sie innerhalb von fünf Jahren sterben müssten. Etwa die Hälfte der Athleten entschied sich regelmäßig für das Doping. Das als Goldman-Dilemma bekannte Phänomen gibt keinen Grund zur Hoffnung, dass Gendoping  am Leistungssport vorbeigehen wird“ (Ballwieser 9.8.2012).

– Rio 2016 und Gendoping
„Nach den Spielen könnte eine neue Welle der Enthüllungen folgen. Denn die Welt-Antidoping-Agentur WADA hat bereits angekündigt, die Proben der Athleten im Nachhinein auch auf Gendoping hin zu prüfen. Das könnte vor allem Doping-Versuche mit dem Gen für Erythropoetin (EPO) aufdecken. (…) Dabei wird den Athleten nicht die verbotene Substanz gespritzt, beispielsweise EPO, sondern man schleust Gene in ihr Erbgut ein, die die Zellen dazu bringen, von selbst zusätzliches EPO zu produzieren. (…) Bisher bestand das Problem der Dopingfahnder darin, dass sie keine Möglichkeit hatten, solche natürlichen Veränderungen von künstlichen, per Gendoping erzielten zu unterschieden. Doch das hat sich nun geändert, wie die WADA kurz vor den Spielen bekanntgab. Forscher am National Measurement Institute in Sydney haben im Auftrag der WADA einen Test entwickelt, der eingeschleuste EPO-DNA erkennen kann. Das Prinzip dahinter: Das im Erbgut von Natur aus vorhandene EPO-Gen enthält vier Introns – einleitende DNA-Sequenzen, die unter anderem markieren, wo dieses Gen abgelesen werden soll. Die EPO-Gene, die den Athleten beim Gendoping eingeschleust werden, enthalten diese Introns jedoch nicht. ‚Das Verfahren nutzt daher Tests, die gezielt nach intronlosen DNA-Sequenzen suchen, wie sie beim Doping präsent sind‘, berichtet Anna Baoutina vom National Measurement Institute. ‚Wir haben auf dieser Basis bereits einen standardisierten Test für das EPO-Gendoping fertiggestellt, die Mitarbeiter entsprechend geschult und die Methode im Labor eingeführt‘ (…) Noch ist nicht klar, ob bei den diesjährigen Olympischen Spielen Sportler am Start sind, die bereits Gendoping für sich genutzt haben. Experten halten es aber keineswegs für ausgeschlossen. Denn das Know-How und die technischen Möglichkeiten sind vorhanden. ‚Die Techniken, die in der Gentherapie erprobt und verwendet werden, werden auch Einzug im Sport halten‘, sagte Theodore Friedmann, Leiter des Gendoping-Gremiums der Weltdopingagentur WADA schon vor einigen Jahren“ (Podbregar 15.8.2016).

Quellen:
Andersen, Jesper/Schjerling, Peter/Saltin, Bengt, Muskeln, Gene und Leistungssport, in Spektrum der Wissenschaft 3/2001
Ballwieser, Dennis, Lebensgefährliches Spiel mit dem Erbgut, in spiegelonline 9.8.2012
Brodmerkel, Anke, Auf Siegeskurs mit fremden Genen, in berliner-zeitung.de 12.1.2015
Gen-Doping, in SZ 26.8.2011 (Deutsche Sporthochschule Köln)
Gendoping: Gentechnik im Sport, NADA 2010
Glogger, Beat, Filmbeitrag „Gendoping“, in Arte 30.7.2010
Müller-Platz, Carl/Wolfarth, Bernd, Gentechnik in der Dopingbekämpfung – ein drohendes Problem?, in:
Muskelspiele, in faz.net 25.7.2012
Hartmann, Wolfgang, Gendoping, Köln 2003
Muskelspiele, in faz.net 25.7.2012
Podbregar, Nadja, Gendoping-Tests für Olympia-Athleten, in wissenschaft.de 15.8.2016
Schöffel, Norman, Schwarzbuch Doping, Berlin 2014
Schulz, Thorsten/Smolnikar, Kai/Diel, Patrick/Michna, Horst, Gendoping im Sport: Fakt oder Fiktion, Deutsche Sporthochschule Köln 1998
Spiller, Christian, Epo war gestern, Doping wird ansteckend, in zeitonline 22.2.2012
Sportausschuss, Ausschuss für Bildung, Forschung, Technologieabschätzung, TAB, Deutscher Bundestag, „Öffentliches Fachgespräch zum Thema Gendoping“, 13.3.2008
Wikipedia

Weitere Fachinformation zu Gendoping

Autoren: Sylvia Hamberger, Wolfgang Zängl