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Olympische Familie

„Zur olympischen Familie gehören alle, die Bonzen und die Sportler, aber was haben sie miteinander zu tun?“ (Gertz, 12.2.2010).

Zunächst einmal hat die Olympische Familie (wie jede Familie) mehrere Hierarchieebenen. Das Olympische Museum gibt diese wie folgt an: Ganz oben steht das IOC „als oberstes Gremium“, dann kommen die 33 Internationalen Weltsportverbände, die 205 NOKs, die nationalen Verbände und Sportvereine, die Sportfunktionäre, Trainer und Sportverwalter, sowie (nicht von ungefähr zum Schluss und ganz unten) – „natürlich die Athleten“.

Die Olympische Familie versteht es, ihre exquisiten Familienfeste exklusiv zu feiern. Simson und Jennings schrieben schon 1992:

„Die olympischen Versammlungen sind eine unaufhörliche, atemberaubende Folge von Erste-Klasse-Flügen, Fünf-Sterne-Hotels, Champagner-Empfängen, extravaganten Banketten, Bergen von Geschenken und üppigen Unterhaltungsprogrammen. Und selten ist dabei auch nur ein Sportler zu sehen“ (S. 24).

Wie bei jeder Hierarchie kostet die obere Ebene mehr als die folgenden: Und die ganz oben kostet am meisten. Für die Olympischen Sommerspiele 1992 in Barcelona schrieben Kistner und Weinreich:

„Insgesamt, so heißt es, hätte die IOC-Familie, ‚Reisen, Geschenke und Aufmerksamkeiten inklusive’, Barcelona rund vier Millionen Mark [umgerechnet zwei Millionen Euro; W. Z.] gekostet. Das ist doppelt so viel, wie Salt Lake City Jahre später für die kreglen Kostgänger verbriet. Und doch weniger, als Jahre zuvor die Seoul-Bewerbung von Samaranchs koreanischem Busenfreund Kim Un Yong gekostet haben soll“ (S. 35).

Bei den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin lag der Bedarf der Olympischen Familie bei 1799 Pkw, darunter die von den IOC-Delegierten besonders beliebten Stretchlimousinen. Ihr automobiler Bedarf wird für München 2018 schon mit 3000 Pkws angegeben (Umweltkonzept 2009, S. 112).

Die Olympische Familie erzeugt mit ihren spärlich besetzten Großraumlimousinen natürlich Verkehr, möchte aber trotzdem rasch vorwärts kommen. Deshalb soll in München 2018 auf den Autobahnen A8, A9, A95 und A96 eine „Olympische Fahrspur“ (Olympic Lane) für die Olympische Familie gesperrt werden; dazu soll der Föhringer Ring für 13 Millionen Euro vierspurig ausgebaut werden, damit die olympische Familie rascher vom Flughafen zu ihren Hotels im Arabellapark kommen kann. Auch hier gibt es für sie eine absperrbare „Kreml-Spur“.

Die Olympische Familie ist meist älter und parkt gern nahe den Wettkampfstätten. In Garmisch-Partenkirchen sollen Parkflächen von insgesamt 26,68 ha entstehen, davon stehen allein der olympischen Familie sieben Hektar zur Verfügung (Umweltkonzept, S. 26). Und dann sorgt das IOC mit großer Fürsorge für seine Familie:

„Sich selbst und seiner ‚Familie’ – zu der laut Vertrag ausdrücklich ‚Berater und Agenten’ zählen – lässt es von Schadenersatzsprüchen freistellen, mindestens 1000 Hotelzimmer müssen für die Kostgänger reserviert sein, und die gesamte Sippschaft kann überdies … gesundheitlich gratis überholt werden …“ (Kistner/Weinreich 2000, S. 289).

Als Wohnraum für die olympische Familie ist nur das Beste gut genug. Im Host City Contract für Vancouver 2010 wurde eine Mindestzahl von 950 Zimmern der 4- und 5-Sterne-Kategorie festgeschrieben. Schließlich bezahlt der Steuerzahler die Hotelrechnungen und die (nicht unbeträchtlichen) Nebenkosten.

Für die Olympischen Winterspiele München 2018 hat die IOC-Familie in der Region Oberbayern 300 000 Übernachtungen eingeplant. Die Hierarchiespitze hat auch schon Vorstellungen, wo und wie sie wohnen will – mit besten Empfehlungen von > Blatters > FIFA 2006. Im „Mini Bid Book“ ist zu lesen:

„Für die Unterbringung der Olympischen Familie schlägt die Bewerbungsgesellschaft München 2018 das Westin Grand Hotel (5-Sterne-Superior, 630 Zimmer) und das Sheraton München (4 Sterne, 445 Zimmer) vor, die auch für die IOC-Session infrage kommen. Als FIFA-Hauptquartier erntete das Westin Grand 2006 höchstes Lob“ (S. 20).

Nicht nebenbei: Ich musste diese Passage aus dem Mini Bid Book der Bewerbungsgesellschaft München 2018 mühsam ablesen und selbst übersetzen. Das Mini Bid Book ist weder ausdruckbar (es erscheint mittig ein dicker schwarzer Balken), noch ist es in einer deutschen Version verfügbar. Bernhard Schwank und Michael Vesper erklärten dazu: „Schließlich stünde das sogenannte Mini Bid Book im Internet, zwar nur in englischer und französischer Sprache, aber das sei allgemein verständlich, auch in Garmisch-Partenkirchen” (SZ 21.7.2010). Soviel zu Transparenz! Selbst in Südkorea ist das Mini Bid Book in der Landessprache verfügbar.

Und mit jeder Durchführung Olympischer Spiele wird die Olympische Familie etwas größer – aktive und deaktivierte Athleten, die dann oftmals Sportfunktionäre werden, Offizielle, Lobbyisten: Das Ende dieses Wachstums ist nicht absehbar.
Sportverbände gründen gern Familien. In seinem Artikel „Die Familienbande“ schrieb Jens Weinreich: „Es gibt die olympische Familie, die Fußballfamilie, die Leichtathletikfamilie – und so fort.“ Lieber Vollwaise als diesen Sport-Blutbanden anzugehören!

Quellen:
Bewerbungsgesellschaft München 2018 GmbH (Auftraggeber), Umweltkonzept München 2018 – Entwurf, Deutsche Sporthochschule Köln, Öko-Institut e. V., Köln/Berlin/Darmstadt, November 2009
Bewerbungsgesellschaft München 2018 GmbH, Begleitende Informationsbroschüre zum Mini Bid Book, München, März 2010
Das Olympische Museum (Hrsg.), Die olympische Bewegung, Lausanne 2007
Gertz, Holger, Warum? Darum, in SZ 12.2.2010
Kistner, Thomas/Weinreich, Jens, Der olympische Sumpf, München 2000
Simson, Vyv/Jennings, Andrew, Geld, Macht und Doping, München 1992
Weinreich, Jens
– Die Familienbande, in Badische Zeitung 5.6.2010
– Finanzierung Olympischer Spiele: „Wir sind ein privilegiertes Völkchen“, www.jensweinreich.de