Schamil Tarpischtschew (* 1935) ist russisches IOC-Mitglied seit 1994 (bis heute); fast ununterbrochen im Exekutivausschuss, zweimal vier Jahre lang Vizepräsident, Präsident des russischen Tennisverbandes. Er hatte nach eigenem Bekunden keine Kenntnis vom Dopingsystem der UdSSR. Tarpischtschew war Tennislehrer von Boris Jelzin und durfte 1993 den „Nationalen Sportfonds“ (NFS) gründen, eine „Lizenz zum Gelddrucken“. Er war „in den neunziger Jahhren am Verschwinden etlicher Dollarmilliarden aus dem Nationalen Sportfonds beteiligt“ (Kistner 2012, S. 399).
„Tarpischtschews NFS durfte aus staatlichen Reserven Erz, Titan, Walzaluminium und andere Rohstoffe exportieren – die Differenz zwischen den heimischen Preisen in Rubel und dem Erlös auf dem Weltmarkt blieb beim NFS“ (Kistner/Weinreich 2000, S. 159). Das soll den russischen Staat jährlich fast neun Milliarden Dollar gekostet haben. Gleichzeitig wurde Tarpischtschew größter Alkoholimporteur und 1994 auch Sportminister (bis 1996), der mit den NFS-Erlösen Boris Jelzins Wahlkampf 1996 finanzierte – mit einigen hundert Millionen Euro.
Und so schaffte es Tarpischtschew, „im Handumdrehen vom Tennistrainer Boris Jelzins über den Chefposten im nationalen Sportfonds zum Milliardär aufzusteigen. Unter Begleitumständen, die ihm notorische Visaprobleme für die USA bescherten“ (Kistner 4.2.2014).
Beim Davis-Cup-Skandal 1995 in Moskau mussten die Einzel verschoben werden, da der Hallenplatz unter Wasser stand. Tarpischtschew hatte die Flutung des Platzes angeordnet, um die Aufschläge der Deutschen langsamer zu machen: Dummerweise lief das Wasser nicht ab.
Nachtrag 1: Auf die IOC-Mitglieder ist einfach Verlass
Im Oktober 2014 lieferte Schamil Tarpischtschew den Klops des Monats ab. Er bezeichnete die Schwestern Serena und Venus Williams als „Williams Brothers“. Die Spielerorganisation WTA verurteilte ihn zu 25.000 Dollar Geldstrafe und sperrte ihn für ein Jahr für WTA-Aktivitäten. WTA-Chefin Stacy Allaster sagte: „Die Äußerungen (…) über zwei der größten Athletinnen in der Geschichte des Damentennis sind beleidigend, erniedrigend und haben absolut keinen Platz in unserem Sport“ (Russischer Tennis-Chef wegen Williams-Witz gesperrt, in spiegelonline 18.10.2014). Allaster bat Tarpischtschew gleichzeitig, seine Position als Vorsitzender des WTA-Turniers in Moskau ruhen zu lassen (SID, dpa, „Williams Brüder“, in SZ 20.10.2014). „Zunächst hatte er es sogar abgelehnt, sich zu entschuldigen. Die russische Nachrichtenagentur Itar-Tass fragte er, ob er sich nun wirklich dafür entschuldigen solle, dass die WTA keinen Spaß versteht“ (Rüttenauer, Andreas, Mehr als ein schlechter Scherz, in taz.de 20.10.2014). Die Siegerehrung beim Kreml-Cup der Damen fand ohne ihn statt. Zumindest beim Welttennisverband der Herren (ATP) kann sich Tarpischew noch sehen lassen: Er überreichte die Siegestrophäe beim Kreml-Cup in Moskau (Ebenda).
Zu Hilfe eilte Putins Sportminister Witali Mutko: „Wenn eine solche Entscheidung gefällt wurde, sollte man versuchen, die Strafe zu senken. Er hat ein Recht auf Berufung“ (Ebenda). Serena Williams lobte die schnelle Reaktion der WTA und sagte zu Tarpischtschews „Kommentare“: „Sie waren extrem sexistisch und gleichzeitig rassistisch. Es war einfach unverantwortlich von ihm“ („Extrem sexistisch und rassistisch“, in spiegelonline 19.10.2014).
Kommentar von Johannes Aumüller in der SZ: „Tarpischtschews Biografie geht in Kurzform so: In den Achtzigern ist er ein normaler Tennisfunktionär, dann lernt er Boris Jelzin kennen und steigt zu dessen Freund und Privatlehrer auf. Im wilden Russland der Neunziger erhält er die Kontrolle über eine Institution namens Nationaler Sportsfonds NSF: Er darf zollfrei im- und exportieren, Bodenschätze, Alkoholika, Tabak – im Volksmund heißt die Konstruktion bald ‚Wodka-Fonds‘, es ist eine Lizenz zum Gelddrucken. Viele Medienberichte thematisieren Tarpischtschews mutmaßliche Mafia-Kontakte und seine Bekanntschaft mit den Tschernoj-Brüdern, die im Aluminiumgeschäft das Sagen haben. Internationale Ermittler beschäftigen sich mit ihm, darunter das FBI – und die USA verweigern ihm mehrmals die Einreise. Konsequenzen für seine Tätigkeit beim IOC? Iwo, natürlich nicht. Stattdessen ist Tarpischtschew anno 2014 ein munterer Teil einer Organisation, deren Präsident Thomas Bach wie eine Monstranz das Wörtchen „Reform“ vor sich herträgt – ohne dass zu erkennen ist, wo eine Reform passiert“ (Aumüller, Johannes, Schamil und seine Brüder, in SZ 21.10.2014).
Nachtrag 2: „Putins schmutzige Sportarmee“
„Tarpischtschew blieb völlig unbehelligt und trieb seine Karriere voran. Er war Sportminister und Wahlkampfchef Jelzins, 1994 wurde er ins Internationale Olympische Komitee (IOK) gewählt, wo er noch heute Einsitz nimmt. Vor rund einem Jahr geriet er in die Schlagzeilen, weil er die Tennisspielerinnen Serena und Venus Williams als Williams-Brothers bezeichnete. Es ist verbürgt, dass sich seinerzeit der russische Präsident Jelzin persönlich beim damaligen IOK-Chef Juan Antonio Samaranch für die Aufnahme von Tarpischtschew in den Olymp des Sports einsetzte“ (Geisser, Remo, Gertsch, Christof, Donath, Klaus-Helge, Putins schmutzige Sportarmee, in nzz.ch 16.11.2015).
Nachtrag 3: Marija Scharapowa gedopt – Tarpischtschew positiv
Die russische Tennisspielerin Scharapowa verdiente laut Forbes 2015 mit Tennis sieben Millionen Dollar, mit Werbung 22 Millionen Dollar. Bei den Australian Open 2016 in Melbourne wurde sie positiv auf Meldonium getestet, das seit 1.1.2016 verboten ist. Daraufhin setzte Nike den Werbevertrag mit Scharapowa aus, dito TAGHeuer. Scharapowa hat zugegeben, dieses Mittel seit 2006 genommen zu haben. Der Präsident des russischen Tennisverbandes, Schamil Tarpischtschew zu Scharapowas Chance auf Rio 2016: „Athleten nehmen, was die Ärzte ihnen verschreiben. Ich glaube, dass Scharapowa eine Chance hat, bei den Olympischen Spielen anzutreten“ (Nike setzt Vertrag mit Scharapowa aus, in spiegelonline 8.3.2016). – „In Russland, wo sich Scharapowa de facto kaum aufhielt, hatte man sie eigentlich als Medaillenkandidatin für die Olympischen Sommerspiele im August in Rio de Janeiro eingeplant – und will diese Hoffnung auch noch nicht aufgeben. ‚Ich denke, dass Scharapowa bei Olympia spielt‘, sagte der russische Verbandspräsident Schamil Tarpischtschew. Der Positiv-Befund? ‚Das ist alles Blödsinn‘, findet Tarpischtschew“ (Schmieder, Jürgen, Der Fehler der Perfektionistin, in SZ 9.3.2016; Hervorhebung WZ).
Nachtrag 4: Russische Tennisspieler sofort in Rio 2016 dabei
Am 24.7.2016 verkünderte IOC-Präsident und Putin-Freund Thomas Bach, dass die Internationalen Sportverbände trotz des erwiesenen russischen System-Doppings über die Teilnahme der russischen Sportler entscheiden – zehn Tage vor dem Beginn der Olympischen Sommerrspiele 2016 in Rio. „Im russischen Tennis ist das seit zweieinhalb Jahrzehnten Schamil Tarpischtschew, dessen Qualifikation darin bestand, dass er einst als Tennislehrer des Staatspräsidenten Boris Jelzin agierte. Außerdem war Tarpischtschew nachweislich bestens in Moskaus Unterwelt integriert und ist bis heute mit Autoritäten der Organisierten Kriminalität befreundet, wie etwa Alimsan Tochtachunow, der die Eislaufwettbewerbe bei den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City manipuliert haben soll. Ihn hat die US-Justiz bereits wegen zahlreicher Anschuldigungen auf internationale Fahndungslisten gesetzt. Tarpischtschew und Tochtachunow, der zeitweise auch das Management von Tennisprofis und Fußballern übernahm, sind seit gemeinsamen Kindheitstagen in Taschkent befreundet. Ihre Nähe zu einem anderen berühmten Sohn der usbekischen Hauptstadt ist legendär: Alischer Usmanow, Präsident des Fecht-Weltverbandes FIE, Milliardär, zeitweise der reichste Russe und Anteilseigner an Arsenal London, Facebook und zahlreichen anderen Unternehmen. Usmanow ist auch Chef der Gazprom-Tochter Gazprominvest und spielt im Konzert der Putin’schen Sport-Armada aus Oligarchen, Politikern und Vertretern der Schattenwelt eine zentrale Rolle“ (Weinstein, Jens, Die Stunde für Putins Freunde, in spiegelonline 25.7.2016).
Quellen:
Kistner, Thomas, Fifa Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball, München 2012
Kistner, Thomas, Schnee unter Sägespänen, in 4.2.2014
Kistner, Thomas/Weinreich, Jens, Der olympische Sumpf – Die Machenschaften des IOC, München 2000
Weinreich, Jens, Die Absahner, in Berliner Zeitung 14.7.2001